Enkelin kann nach Tod des Großvaters Pflichtteil fordern, auch wenn die Mutter als Erbin eingesetzt wurde
BGH – Urteil vom 27.06.2012 – IV ZR 239/10
- Tochter fordert nach dem Tod des Großvaters Pflichtteil bei ihrer Mutter
- Mutter hatte auf ihr Erbrecht nach ihrem Vater verzichtet
- Erbeinsetzung der Mutter in Testament des Großvaters führt zu Pflichtteil der Enkelin
Der Bundesgerichtshof als oberstes Zivilgericht in Deutschland hatte einen etwas kniffeligen Fall zum Pflichtteilsrecht zu entscheiden.
Geklagt hatte eine Tochter gegen ihre eigene Mutter. Die Mutter hatte im Jahr 2005 ihren eigenen Vater als Alleinerbin beerbt. Die Tochter machte nach dem Tod ihres Großvaters Pflichtteilsansprüche gegen ihre Mutter geltend.
Im Normalfall sind bei einer solchen Konstellation Pflichtteilsansprüche der Enkel-Generation ausgeschlossen. § 2309 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) bestimmt nämlich, dass entferntere Abkömmlinge (z.B. Enkel) des Erblassers nicht berechtigt sind, den Pflichtteil zu fordern, als ein näher verwandter Abkömmling (wie im entschiedenen Fall die Mutter) „den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt“.
Eheleute verfassen ein Berliner Testament
Der vom BGH zu entschiedene Fall wies jedoch einige Besonderheiten auf. So hatte der Erblasser mit seiner Frau im Jahr 1987 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben und die gemeinsamen Enkelkinder als Schlusserben einsetzen.
Gleichzeitig wurde in dem Testament dem Überlebenden aber das Recht eingeräumt, nach dem Tod des Erstversterbenden anstatt der Enkel eine andere Person als Schlusserben zu bestimmen.
Am gleichen Tag, an dem die Großeltern das gemeinschaftliche Testament errichteten, erklärte die in dem Verfahren beklagte Mutter mit notarieller Erklärung gegenüber ihren Eltern, dass sie auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrechtverzichten würde. Diese Verzichtserklärung erstreckte sich aber ausdrücklich nicht auf die Kinder der Mutter.
Erblasser ändert sein Testament ab
Nach dem Ableben der Großmutter änderte der Großvater und Erblasser dann tatsächlich in einem Testament die Person seines Schlusserben. Er bestimmte, dass seine Tochter nach seinem Tod Alleinerbin werden soll.
Die beklagte Mutter hatte also auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtet, war jetzt aber durch Testament zur Alleinerbin eingesetzt worden.
Die Enkelin argumentierte nach dem Ableben des Großvaters nunmehr, dass ihre Mutter durch den im Jahr 1987 erklärten Erbverzicht aus der gesetzlichen Erbfolge ausgeschieden sei. An ihre Stelle sei in der gesetzlichen Erbfolge sie, die Enkelin, gerückt. Nachdem der Großvater sie jedoch durch die Anordnung in seinem späteren Testament, wonach die Mutter Alleinerbin sein solle, enterbt habe, stehe ihr ein Pflichtteilsanspruch gegen die eigene Mutter zu.
Landgericht und Oberlandesgericht weisen die Klage ab
Beide Vorinstanzen, das Landgericht Augsburg und das Oberlandesgericht München, wiesen die Klage der Tochter gegen ihre Mutter auf Zahlung des Pflichtteils mit Hinweis auf die Regel in § 2309 BGB ab.
Diese Entscheidungen hob der BGH in seinem Urteil auf und billigte der Enkelin einen Anspruch auf Pflichtteil gegen ihre Mutter nach dem Tod des Großvaters zu.
In seiner Begründung verwies der BGH darauf, dass der Gesetzgeber durch die Regelung in § 2309 BGB vorrangig verhindern wollte, dass es zu einer Vervielfältigung der Pflichtteilslast kommt. In einem erbrechtlichen Stamm sollte nur einmal der Pflichtteil verlangt und auch bezahlt werden.
Im zu entscheidenden Fall sah der BGH keine Gefahr einer Vervielfältigung der Pflichtteilslast, da die Erbeinsetzung der Mutter lediglich das Innenverhältnis des einzigen Stammes vorhandener gesetzlicher Erben berühre.
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