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Welches Nachlassgericht ist international zuständig? Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers kann entscheidend sein!

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers kann die Zuständigkeit eines Nachlassgerichts begründen
  • Der gewöhnliche Aufenthalt ist der Daseinsmittelpunkt des Erblassers
  • Hilfestellung des Gesetzgebers bei der Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts

Die Menschen werden immer mobiler.

So ist es mittlerweile alles andere als selten, dass Deutsche entweder berufsbedingt oder auch im wohlverdienten Ruhestand zumindest einen Teil ihrer Lebenszeit im Ausland verbringen.

Ferienwohnungen in Florida oder an der Algarve, ein Zweitwohnsitz in New York oder ein mehrjähriger Arbeitsaufenthalt in Asien lassen die Verbindungen zur deutschen Heimat manchmal etwas dünn werden.

Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland?

Die Frage, wie eng die Beziehungen eines Auslandsdeutschen zur deutschen Heimat noch waren, interessiert nach dem Ableben des Betroffenen vor allem seine Erben.

Wenn sich nämlich ein Erbe nach dem Eintritt des Erbfalls an die Abwicklung der Erbschaft macht, dann muss zuallererst geklärt werden, welches Recht denn auf den Erbfall anwendbar ist und vor allem, welche Behörde für die Bearbeitung des Erbfalls zuständig ist.

Ein deutscher Erblasser hat die Möglichkeit, noch zu Lebzeiten seinen Erben in diesen Fragen eine Hilfestellung zu geben und nach Art. 22 EuErbVO (Europäische Erbrechtsverordnung) in seinem Testament die Anwendung deutschen Rechts für seinen Erbfall ausdrücklich anzuordnen.

Erben benötigen einen Erbschein oder ein Nachlasszeugnis

Fehlt aber eine solche Rechtswahl durch den Erblasser, dann müssen sich die Erben nach dem Erbfall mit ziemlicher Sicherheit mit dem Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ auseinander setzen.

Nach Art. 4 EuErbVO bestimmt nämlich der „gewöhnliche Aufenthalt“, den der Erblasser zu Lebzeiten hatte, über die Frage, ob ein deutsches Nachlassgericht z.B. für die Erteilung eines Erbscheins bzw. eines Europäischen Nachlasszeugnisses zuständig ist.

Wenn der Erblasser seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland hatte, sich nur für kurze Zeit im Jahr im Ausland aufgehalten hat, dann wird es an der Frage der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Nachlassgerichts für den Erbfall wenig Zweifel geben, mag der Erblasser auch im Ausland verstorben sein oder im Ausland über Vermögenswerte verfügt haben.

Wo haben Auslandsdeutsche ihren gewöhnlichen Aufenthalt?

Die alles entscheidende Frage des „gewöhnlichen Aufenthalts“ kann im Einzelfall aber auch absolut unklar und höchst umstritten sein.

Wenn ein Erblasser zum Beispiel nur die Sommermonate in Deutschland verbringt und im Winter sein Haus auf Sizilien in Italien bewohnt, dann muss im Erbfall geklärt werden, wo der Erblasser seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ hatte.  

Im Streitfall versuchen die Gerichte den „gewöhnlichen Aufenthalt“ eines Erblassers als „Daseinsmittelpunkt“ im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers zu ermitteln.

Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sind entscheidend

Dauer und Regelmäßigkeit der Anwesenheit eines Erblassers in einem Staat werden dabei ebenso in Betracht gezogen wie die Bedingungen und die Gründe für die jeweilige Anwesenheit des Erblassers.

In problematischen Einzelfällen kann es sich als sehr hilfreich erweisen, die Erwägungsgründe zur EuErbVO zu Rate zu ziehen.

Nach Erwägungsgrund 23 gilt zum Beispiel folgendes:

„Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts sollte die mit der Erbsache befasste Behörde eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen und dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe.“

Erwägungsgrund 24 konkretisiert weiter:

In einigen Fällen kann es sich als komplex erweisen, den Ort zu bestimmen, an dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich der Erblasser aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen – unter Umständen auch für längere Zeit – in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten, aber eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrechterhalten hat. In diesem Fall könnte – entsprechend den jeweiligen Umständen – davon ausgegangen werden, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in seinem Herkunftsstaat hat, in dem sich in familiärer und sozialer Hinsicht sein Lebensmittelpunkt befand. Weitere komplexe Fälle können sich ergeben, wenn der Erblasser abwechselnd in mehreren Staaten gelebt hat oder auch von Staat zu Staat gereist ist, ohne sich in einem Staat für längere Zeit niederzulassen. War der Erblasser ein Staatsangehöriger eines dieser Staaten oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in einem dieser Staaten, so könnte seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände sich befinden, ein besonderer Faktor bei der Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen Umstände sein.

Obwohl danach der Verordnungsgeber offenbar bereits vorausgesehen hat, dass eine Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Einzelfall schwierig werden kann und dem Rechtsanwender in den Erwägungsgründen zur EuErbVO Anhaltspunkte zur Klärung von Streitfragen an die Hand gegeben hat, wird es die Aufgabe der staatlichen Gerichte sein, im Einzelfall den unbestimmten Rechtsbegriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ zu klären.

So war z.B. unlängst der Kassationsgerichtshof in Frankreich als höchstes Zivilgericht des Landes aufgerufen, den gewöhnlichen Aufenthalt eines Erblassers zu klären, der ständig zwischen Paris und New York hin- und hergereist war (Cass. Civ. Nr. 18-13.383).

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