Erbfall in Europa – Welches Erbrecht soll gelten?
Die weltweite Globalisierung wirkt sich zunehmend auch auf die Lebensplanung der Menschen in Europa aus.
So ist es mittlerweile fast gewöhnlich, wenn deutsche Staatsbürger ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr in Deutschland selber haben, sondern zu Arbeitszwecken ins europäische Ausland verziehen oder dort ihren Lebensabend verbringen.
Hunderttausende Deutsche leben vor diesem Hintergrund in Spanien, Italien, der Schweiz oder in sonstigen Ländern der Europäischen Union. Umgekehrt ist auch Deutschland für viele ausländische Mitbürger zur neuen Heimat geworden.
Dieser Trend hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Bevölkerungsstrukturen in den jeweiligen Zielländern aus. Vielmehr löst diese legale Migration innerhalb der Europäischen Union gerade bei Erbfällen immer wieder schwierige Rechtsfragen aus.
Verstirbt beispielsweise ein Deutscher, der über Immobilienbesitz in Frankreich verfügt, in Portugal, dann taucht für die Beteiligten sehr schnell die Frage auf, welches Erbrecht denn eigentlich auf diesen Erbfall anzuwenden ist.
Theoretisch stehen in dem Beispielsfall drei vollkommen verschiedene Erbrechtsordnungen zur Regelung des Erbfalls zur Verfügung. Denkbar ist die Anwendung des deutschen, des portugiesischen oder auch – zumindest partiell – des französischen Erbrechts.
Ab dem 17.08.2015 gilt die Europäische Erbrechtsverordnung
Für internationale Erbfälle, die sich nach dem 17.08.2015 ereignet haben, hat sich mit dem Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) einiges zum besseren gewendet.
Die in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien) anwendbare Verordnung enthält zentrale Regelungen für Erbfälle mit grenzüberschreitendem Bezug.
In der EuErbVO finden sich insbesondere Aussagen zum anzuwendenden Recht, zur internationalen gerichtlichen Zuständigkeit, zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und nicht zuletzt zum Europäischen Nachlasszeugnis, dem Pendant zum Erbschein in Deutschland.
Welches Erbrecht ist anwendbar?
Die EuErbVO bringt alleine dadurch eine wesentliche Erleichterung bei der Abwicklung internationaler Erbfälle mit sich, da sie Regelungen für die Frage enthält, welches Recht für die Beurteilung eines Erbfalls anwendbar ist.
Zentrale Aussagen zum maßgeblichen Recht, dem so genannten Erbstatut, enthalten nämlich die Artikel 21 und 22 EuErbVO.
Entscheidende Kriterien bei der Festlegung des anzuwendenden Rechts ist danach für Erbfälle nach dem 17.08.2015 der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ des Erblassers, Art. 21 EuErbVO. Weiter muss zukünftig weiter immer überprüft werden, ob der Erblasser von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, das für seinen Erbfall anzuwendende Recht zu wählen, Art. 22 EuErbVO.
Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers bestimmt das Erbrecht
Nach Art. 21 EuErbVO ist zunächst der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers ein entscheidendes Merkmal bei der Bestimmung des anzuwendenden Erbrechts.
Art. 21 EuErbVO lautet wie folgt:
(1) Sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
(2) Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Absatz 1 anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ ist in der EuErbVO nirgendwo definiert.
Den Erwägungsgründen zur EuErbVO sind allerdings einige Hinweise zu entnehmen, was sich der Gesetzgeber unter dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes vorgestellt hat.
Danach ist der gewöhnliche Aufenthalt der „tatsächliche Lebensmittelpunkt“ einer Person. Dieser Lebensmittelpunkt ist mittels einer „Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes“ festzustellen.
Es ist absehbar, dass es auch bei Anwendung dieser und weiterer in den Erwägungsgründen zur EuErbVO enthaltenen Bestimmungskriterien zum Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ in Grenzfällen zu Streit kommen wird.
Hier wird die Rechtsprechung zukünftig dafür sorgen müssen, dass der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ eine schärfere Kontur erhält.
Die Möglichkeit der Rechtswahl durch den Erblasser
Solche Unklarheiten kann der Erblasser selber aber vermeiden, indem er von seinem in Art. 22 EuErbVO geregelten Recht Gebrauch macht und das auf seinen Erbfall anzuwendende Recht vor seinem Tod wählt.
Art. 22 EuErbVO lautet wie folgt:
(1) Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Eine Person, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann das Recht eines der Staaten wählen, denen sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
(2) Die Rechtswahl muss ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben.
(3) Die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, unterliegt dem gewählten Recht.
(4) Die Änderung oder der Widerruf der Rechtswahl muss den Formvorschriften für die Änderung oder den Widerruf einer Verfügung von Todes wegen entsprechen.
Hat der Erblasser von seinem Recht, das anzuwendende Recht zu wählen, wirksam Gebrauch gemacht, werden hierdurch die Regelungen in Art. 21 EuErbVO verdrängt.
Möglich ist allerdings immer nur eine Wahl des Rechts desjenigen Staates, dem der Erblasser angehört.
Die Rechtswahl muss zwingend in Form einer so genannten Verfügung von Todes wegen, also zum Beispiel in einem Testament, erfolgen.
Eine Rechtswahl kann unter Umständen auch „konkludent“ erfolgen. Es kann sich also zum Beispiel aus dem Inhalt eines Testaments ergeben, dass der Erblasser in diesem Testament auf spezifische erbrechtliche Bestimmungen eines bestimmten Staates Bezug nimmt. Ob eine konkludente Rechtswahl vorliegt, ist im Einzelfall durch Auslegung des letzten Willens zu ermitteln.
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