Nießbrauch und Wohnungsrecht – Wie beeinflussen sie den Pflichtteil?
- Für den Pflichtteil zählt der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls
- Nießbrauch und Wohnrecht des Erblassers sind nicht vererblich
- Was gilt, wenn der Erblasser einem Dritten ein Wohn- oder Nießbrauchrecht zuwendet?
Pflichtteilsauseinandersetzungen werden zwischen den Beteiligten oft mit erbitterter Härte geführt.
Hat sich der Erblasser dazu entschlossen, einen nächsten Familienangehörigen von der Erbfolge auszuschließen, dann ist nach dem Eintritt des Erbfalls ein Streit zwischen dem Enterbten und dem Erben eher die Regel als die Ausnahme.
Der Pflichtteil besteht nach § 2303 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in Höhe des Wertes der Hälfte des gesetzlichen Erbteils der enterbten Person.
Pflichtteilsergänzung bei Schenkungen des Erblassers
Darüber hinaus steht dem Enterbten nach § 2325 BGB ein so genannter Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben zu, wenn der Erblasser in einem Zeitraum von 10 Jahren vor Eintritt des Erbfalls entweder dem Erben oder einem beliebigen Dritten ein Geschenk gemacht hat.
Um den Pflichtteil nach Eintritt des Erbfalls beziffern zu können, muss der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls festgestellt werden, § 2311 BGB.
Jegliches Vermögen des Erblassers, seien es Immobilien, Bankguthaben, Aktiendepots oder auch gegen Dritte gerichtete Forderungen müssen zum Stichtag, an dem der Erblasser verstorben ist, bewertet und der Pflichtteilsberechnung zugrunde gelegt werden.
Nießbrauch oder Wohnungsrecht zugunsten des Erblassers
Grundsätzlich fallen auch zugunsten des Erblassers bestehende Forderungen in den Nachlass. Konnte der Erblasser also zu seinen Lebzeiten von einem Dritten etwas beanspruchen, so geht dieses Forderungsrecht nach dem Tod des Erblassers regelmäßig auf den oder die Erben über.
Damit gilt: Forderungen des Erblassers erhöhen in aller Regel den Wert des Nachlasses und damit auch den Wert des Pflichtteilanspruchs.
Von diesem Grundsatz muss aber hinsichtlich eines zugunsten des Erblassers bestehenden Nießbrauch- oder Wohnungsrechtes eine Ausnahme gemacht werden. Ein Nießbrauch- und auch ein Wohnungsrecht sind nämlich nicht vererblich, § 1061 BGB. Solche Rechte, von denen der Erblasser zu Lebzeiten noch profitiert hat, erlöschen vielmehr mit dem Tod des Berechtigten.
Wohnrecht des Erblassers erhöht den Pflichtteil grundsätzlich nicht
Vermögenswerte, die nicht in den Nachlass fallen, sind grundsätzlich auch für den Pflichtteil nicht relevant.
Ein zugunsten des Erblassers bestehendes Nießbrauch- oder Wohnungsrecht fällt regelmäßig nicht in den Nachlass und kann folgerichtig auch bei der Bemessung des Pflichtteilanspruchs keine Rolle spielen.
Etwas anderes kann gelten, wenn der Erblasser eine ihm gehörende Immobilie an einen Dritten verschenkt hat und sich selber an dieser Immobilie ein Wohn- oder Nießbrauchrecht vorbehalten hat. Auch außerhalb der Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB kann ein solcher Vorgang zugunsten des Pflichtteilsberechtigten einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2016, IV ZR 474/15).
Erblasser hatte zu Lebzeiten einem Dritten Nießbrauch- oder Wohnungsrecht eingeräumt
Hingegen kann ein Nießbrauch- oder Wohnungsrecht dann sehr wohl eine Rolle bei der Bemessung des Pflichtteils spielen, wenn der Erblasser zu Lebzeiten einem Dritten ein solches Recht an einem dem Erblasser gehörenden Vermögensgegenstand eingeräumt hat.
Hatte der Erblasser beispielsweise noch zu seinen Lebzeiten seiner Ehefrau ein Nießbrauchrecht an einem Unternehmen eingeräumt und wurde für dieses Nießbrauchrecht keine Gegenleistung vereinbart, dann muss dieser als Schenkung zu wertende Vorgang im Rahmen eines Pflichtteilergänzungsanspruchs nach § 2325 BGB grundsätzlich berücksichtigt werden.
Was gilt, wenn der Erblasser ein Wohnrecht zuwendet?
Differenzierter muss man die Angelegenheit wohl dann betrachten, wenn der Erblasser zu Lebzeiten einem Dritten mittels Nießbrauch bzw. Wohnungsrecht unentgeltlich Wohnraum zur Verfügung gestellt hat.
Hier vertritt der Bundesgerichtshof nämlich seit längerem die Auffassung, dass die unentgeltliche Überlassung von Wohnraum keine Schenkung (dann Pflichtteilsergänzung), sondern vielmehr eine Leihe nach §§ 598 ff. BGB (dann keine Pflichtteilsergänzung) darstellen würde (so z.B. BGHZ 82, 354; a.A. z.B. LG Mannheim, NJW 1970, 2111).
Folgt man der Rechtsprechung des BGH, löst zumindest ein ohne Gegenleistung eingeräumtes Wohnungsrecht keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus.
Es wird in dieser Frage aber, wie immer, auf die Umstände des Einzelfalls ankommen.
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