Pflichtteilsergänzung wegen Schenkung Immobilie – Der Vorbehalt eines Wohnrechts hindert den Lauf der Zehn-Jahres-Frist nicht
BGH – Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 474/15
- Eltern verschenken vor 20 Jahren Immobilie und behalten sich Wohnrecht vor
- Trotz Ablauf der Zehnjahresfrist wird Pflichtteilsergänzung gefordert
- BGH lehnt Verschiebung der Zehnjahresfrist ab
Der Bundesgerichtshof hatte in dritter und letzter Instanz über die Berechtigung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu entscheiden.
Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt war durchaus typisch: Eltern hatten sich in einem Testament gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Damit hatten sich die Eltern aber auch gleichzeitig dazu entschlossen, ihre beiden Söhne von der Erbfolge auszuschließen.
Eltern verschenken Immobilie und behalten sich Wohnrecht vor
Dem Sohn 1 übertrugen die Eltern mit Vertrag vom 08.12.1993 das Eigentum an dem mit dem Familien-Wohnhaus bebauten Grundstück. Diese Schenkung wurde mit Grundbuchänderung im Jahr 1994 vollzogen.
Die Eltern behielten sich an der Immobilie aber ein im Grundbuch eingetragenes Wohnrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss des dreistöckigen Anwesens vor.
Der Vater verstarb am 16.08.2012.
In der Folge machte der Sohn 2 gegen seine Mutter als Alleinerbin Pflichtteilsansprüche geltend. Dabei wollte Sohn 2 aber nicht nur das zum Todestag vorhandene Vermögen seines Vaters der Berechnung seines Pflichtteils zugrunde legen.
Enterbter Sohn fordert Pflichtteilsergänzung
Vielmehr machte Sohn 2 einen so genannten Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen der im Jahr 1993 an Sohn 1 erfolgten Schenkung des Familienwohnsitzes geltend. Dabei war Sohn 2 durchaus bewusst, dass die für einen solchen Pflichtteilsergänzungsanspruch im Gesetz in § 2325 BGB vorgesehene Frist von 10 Jahren längst abgelaufen war.
Der Kläger argumentierte aber, dass durch den Vorbehalt eines Wohnungsrechtes der Familienwohnsitz wirtschaftlich das Vermögen der Eltern nie verlassen habe. Im Ergebnis könne die Zehnjahresfrist des § 2325 BGB daher erst mit dem Erbfall beginnen.
Die beklagte Mutter hielt von dieser Argumentation ersichtlich wenig. Sie wies jeden Pflichtteilsanspruch in Zusammenhang mit der im Jahr 1993 erfolgten Schenkung wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist zurück.
Gerichte weisen die Klage in drei Instanzen ab
Die Mutter bekam in allen drei Instanzen Recht. Nachdem bereits das Land- und das Oberlandesgericht einen Pflichtteilsergänzungsanspruch verneint hatten, wies auch der BGH die Klage im Revisionsverfahren ab.
Dabei gestand der BGH dem Kläger in der Begründung seiner Entscheidung durchaus zu, dass eine Leistung im Sinne von § 2325 BGB und damit der Beginn der Zehnjahresfrist nach der Rechtsprechung erst dann vorliege, „wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand - sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche - im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.“
Der Fristbeginn und eine geleistete Schenkung im Sinne von § 2325 BGB sei, so der BGH, dann zu verneinen, „wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren müsse.“
Diese Grundsätze seien aber, so der BGH, von den Instanzgerichten in Übereinstimmung mit weiterer obergerichtlicher Rechtsprechung in dem zu entscheidenden Fall berücksichtigt worden.
Das Wohnrecht wurde nur an Teilen der Immobilie vorbehalten
Gegen eine – grundsätzlich mögliche – Hinderung des Laufs der Zehnjahresfrist bei Vorbehalt eines Wohnrechts spreche im vorliegenden Fall insbesondere, dass sich die Eltern nicht an dem gesamten Anwesen das Wohnrecht vorbehalten hätten, sondern lediglich an den Räumen im Erdgeschoss.
Die Eltern seien mithin bereits mit Vollzug der Schenkung nicht mehr „Herr im Haus“ gewesen, die Schenkung daher bereits mit Grundbuchänderung im Jahr 1994 vollzogen gewesen. Seit diesem Zeitpunkt konnten die Eltern, so der BGH, das Anwesen nicht mehr „in der bisherigen Art und Weise nutzen.“
Im Ergebnis befand der BGH die mit der Übertragung der Immobilie für die Eltern verbundenen Einschränkungen als so gravierend, dass man keine Veranlassung sah, den Fristlauf des § 2325 BGB in Sinne des Pflichtteilsberechtigten zu verschieben.
Für die Berechnung des Pflichtteils des Klägers war mithin der Wert der Immobilie nicht mehr relevant.
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