Pflichtteilsberechtigter hat Anspruch auf Akteneinsicht incl. Nachlassverzeichnis

Von: Dr. Georg Weißenfels

Thüringer OLG – Beschluss vom 09.08.2011 – 6 W 206/11

  • Pflichtteilsberechtigter beantragt Akteneinsicht beim Nachlassgericht
  • Nachlassgericht will dem Pflichtteilsberechtigten keine Einsicht in das vom Erben ausgefüllte Nachlassverzeichnis geben
  • OLG korrigiert die Entscheidung des Nachlassgerichts deutlich

Das Thüringer Oberlandesgericht hatte darüber zu befinden, ob ein Nachlassgericht einem beteiligten Pflichtteilsberechtigten im Rahmen der von diesem begehrten Akteneinsicht auch ein vom Erben erstelltes Nachlassverzeichnis zur Verfügung stellen muss.

In der Angelegenheit war die Erblasserin im Juli 2010 verstorben. Die Erblasserin hatte eines ihrer zwei Kinder in einem öffentlichen Testament als Alleinerben eingesetzt. Kind Nummer zwei war mithin enterbt worden.

Der Alleinerbe beantragte und erhielt in der Folge bei dem örtlich zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein, der ihn als alleinigen Erben seiner Mutter auswies. Im Rahmen dieses Erbscheinantrags hatte der Erbe auch, wie vom Nachlassgericht regelmäßig verlangt, ein Nachlassverzeichnis ausgefüllt.

Im Erbscheinverfahren hatte dieses Nachlassverzeichnis den alleinigen Zweck, dem Nachlassgericht als Grundlage für die Berechnung der Gebühren für die Erteilung des Erbscheins zu dienen.

Pflichtteilsberechtigter beantragt Akteneinsicht beim Nachlassgericht

Im Dezember 2012 beantragte der Pflichtteilsberechtigte beim Nachlassgericht Einsicht in die Nachlassakte. Diese Akteneinsicht wurde dem Pflichtteilsberechtigten auch gewährt, das Nachlassgericht verweigerte jedoch ausdrücklich die Einsicht in das vom Erben erstellte Nachlassverzeichnis.

Trotz mehrerer Anträge des Pflichtteilsberechtigten war das Nachlassgericht nicht dazu zu bewegen, dem enterbten Kind Einsicht in das Nachlassverzeichnis zu gewähren. Gegen die Haltung des Gerichts legte der betroffene Pflichtteilsberechtigte schließlich das Rechtsmittel der Beschwerde zum OLG ein.

Das Rechtsmittel war erfolgreich, das Nachlassgericht wurde angewiesen, dem Pflichtteilsberechtigten das geforderte Nachlassverzeichnis zur Verfügung zu stellen.

In der Begründung der Entscheidung wies das OLG zunächst darauf hin, dass die Verweigerung des Nachlassgerichts, dem Pflichtteilsberechtigten vollständige Akteneinsicht zu gewähren, ausnahmsweise selbständig mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angreifbar sei, da es dem Beschwerdeführer vorliegend nicht darum gegangen sei, die mit der Erbscheinserteilung die Hauptentscheidung des Nachlassgerichts anzugreifen, sondern mit seinem Akteneinsichtsgesuch anderweitige Interessen verfolgt habe.

Beschwerde des Pflichtteilsberechtigten ist begründet

Die binnen der Rechtsmittelfrist von einem Monat eingelegte Beschwerde sei auch begründet, so das OLG, da der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse daran habe, sich „Kenntnis vom Umfang des Nachlasses und damit von der Höhe seines Pflichtteilsanspruchs“ zu verschaffen.

Es sei dabei vollkommen unerheblich, dass das Nachlassverzeichnis von dem Erben nicht zu dem Zweck aufgestellt wurde, dem Pflichtteilsberechtigten Informationen über die Grundlagen seines Anspruchs zu geben.

Auch könne der Pflichtteilsberechtigte nicht darauf verwiesen werden, dass er nach § 2314 BGB ohnehin einen Auskunftsanspruch gegen den Erben habe und diesen nur geltend machen müsste. Dieser gesetzliche Auskunftsanspruch schließe ein berechtigtes Interesse an der – vollständigen – Akteneinsicht nicht aus.

Geheimhaltungsinteressen des Erben sind nicht ersichtlich

Schließlich wies das Gericht noch darauf hin, dass im vorliegenden Fall schutzwürdige Interessen des Erben an einer Geheimhaltung des Nachlassverzeichnisses weder vorgetragen noch ersichtlich seien.

Der Pflichtteilsberechtigte konnte sich demnach mit Hilfe der Angaben in dem Nachlassverzeichnis einen Überblick über die Grundlagen seines Pflichtteilsanspruchs verschaffen.

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