Erbschein erteilen oder Erbschein einziehen – Wann muss das Nachlassgericht Zeugen förmlich vernehmen?

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Ein Nachlassrichter hat bei der Ermittlung des Sachverhalts einen großen Spielraum
  • Zeugen können vom Nachlassgericht auch schriftlich befragt werden
  • Bei wichtigen und bestrittenen Zeugenaussagen muss das Nachlassgericht die Zeugen förmlich vernehmen

Rund um die Erteilung oder auch die Einziehung eines Erbscheins kann es Streit geben.

Erben, die auf Grundlage eines unklaren Testaments in einem Erbschein als Rechtsnachfolger eines Erblassers ausgewiesen sein wollen, müssen das Nachlassgericht von ihrem angeblichen (Erb-) Recht überzeugen.

Das Gleiche gilt für Erben, die einen Erblasser beerben wollen, der nach Angaben anderer am Verfahren Beteiligter im Zeitpunkt der Errichtung seines Testaments „garantiert“ testierunfähig gewesen sein soll.

Gericht benötigt eine belastbare Entscheidungsgrundlage

Welche Entscheidung ein Nachlassgericht in einer streitigen Erbscheinsangelegenheit dabei auch immer treffen will, es benötigt eine belastbare Entscheidungsgrundlage.

Das Gesetz macht dem Nachlassgericht bei einem Streit rund um einen Erbschein in § 352e Abs. 1 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) folgende Vorgabe:

Der Erbschein ist nur zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

In welcher Form ein Nachlassgericht die im Zusammenhang mit der Erteilung oder der Einziehung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen ermittelt, ist grundlegend dem § 29 Abs. 1 S. 1 FamFG zu entnehmen:

Das Gericht erhebt die erforderlichen Beweise in geeigneter Form. 

Das Gesetz lässt einem Nachlassrichter danach einen relativ großen Spielraum. Er soll den entscheidungserheblichen Sachverhalt in „geeigneter Form“ ermitteln.

Zeugen, Urkunden, Augenschein und Sachverständige als Beweismittel

Ein Nachlassgericht bedient sich bei einem Streit über die Erteilung oder die Einziehung eines Erbscheins dabei regelmäßig der klassischen Beweismittel.

Das Gericht wertet vorliegende Urkunden aus, es holt sich bei Sachverständigen Unterstützung, nimmt gegebenenfalls eine bestimmte Situation in Augenschein und bedient sich der Aussage von Zeugen, um einem Sachverhalt auf die Spur zu kommen.

Besonders bei der Einvernahme von Zeugen kann ein Nachlassrichter dabei aber grundsätzlich aufgrund der vorstehend zitierten Regelung in § 29 Abs. 1 S. 1 FamFG wesentlich freier agieren, als dies ein Richterkollege am Zivilgericht je könnte.

Das Freibeweisverfahren im Nachlassrecht

So muss ein Nachlassrichter für eine verwertbare Zeugenaussage nicht zwingend eine förmliche Beweisaufnahme durchführen.

Es müssen in einem Nachlassverfahren über einen Erbschein mithin nicht zwingend Zeugen zu einem Verhandlungstermin geladen werden, bei dem die Zeugen über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden und dann dem Richter und allen anderen Beteiligten Rede und Antwort stehen.

Ein Nachlassrichter kann einen Zeugen vielmehr auch nur einfach schriftlich befragen oder sogar mit einem Zeugen nur telefonieren.

Über Streng- oder Freibeweis entscheidet der Nachlassrichter

Da im Nachlassverfahren im Gegensatz zum Strengbeweisverfahren im Zivilprozess das so genannte Freibeweisverfahren angewendet wird, sind solche eher informell anmutenden Zeugenbefragungen durch ein Nachlassgericht durchaus zulässig und auch üblich.

Es liegt nach § 30 Abs. 1 FamFG alleine im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts, ob es den entscheidungserheblichen Sachverhalt eher unkonventionell im Freibeweisverfahren oder förmlich im Strengbeweisverfahren nach den Regeln der ZPO (Zivilprozessordnung) ermittelt.

Natürlich gibt es über die Frage, wann ein Zeuge in einem Nachlassverfahren denn bitte persönlich vor Gericht erscheinen soll und seine Aussage dort zu Protokoll geben soll, immer wieder Streit.

Zeugenaussagen vor Gericht können falsch sein

Nirgendwo wird von Zeugen so oft die Unwahrheit erzählt, wie vor Gericht.

Und wenn dann Zeugen ihre manchmal eher halbseidenen Aussagen nicht einmal in Gegenwart eines Richters und von Anwälten machen, sondern sich nur schriftlich äußern müssen, dann soll es schon vorgekommen sein, dass diese schriftlichen Zeugenaussagen mit der Realität nicht allzu viel gemeinsam hatten.

In Anbetracht dieses Umstandes ist ein Nachlassgericht gut beraten, insbesondere für die anstehende Entscheidung zentrale Zeugenaussagen nicht nur schriftlich und informell einzuholen, sondern im Zweifel eine förmliche Zeugenbefragung durchzuführen.

Wann müssen Zeugen förmlich vernommen werden?

Das Gesetz gibt dabei deutliche Hinweis, wann auch von einem Nachlassgericht einer förmlichen Zeugenbefragung der Vorzug zu geben ist.

Nach § 30 Abs. 3 FamFG soll nämlich bereits dann eine förmliche Beweisaufnahme über die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung stattfinden, „wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung dieser Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird.“

Jedenfalls immer dann, wenn es die Bedeutung eines Beweisthemas erfordert, wird sich ein Nachlassgericht nicht auf eine bloß informelle Anhörung einzelner Zeugen zurückziehen können.

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