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Wann ist eine Wiederverheiratungsklausel in einem letzten Willen sittenwidrig und unwirksam?

Von: Dr. Georg Weißenfels

Saarländisches OLG – Urteil vom 15.10.2014 – 5 U 19/13

  • Ehemann soll im Fall der Wiederverheiratung das komplette Vermögen an die Kinder herausgeben
  • Kinder verklagen ihren Vater
  • Gericht hält Klausel in Erbvertrag für sittenwidrig

Das OLG Saarbrücken hatte die Frage der Sittenwidrigkeit einer so genannten Wiederverheiratungsklausel in einem Erbvertrag zu überprüfen.

In der Angelegenheit hatte ein Ehepaar, das zwei leibliche Söhne hatte, im Jahr 1968 seine Erbfolge in einem notariellen Erbvertrag geregelt. In diesem Erbvertrag setzen sich die Eheleute gegenseitig als alleinige Erben ein.

Weiter enthielt der Erbvertrag eine so genannte Wiederverheiratungsklausel, die Regelungen für den Fall enthielt, dass der überlebende Ehepartner nach dem ersten Erbfall eine weitere Ehe eingeht.

In diesem Fall sollte der überlebende Ehepartner nämlich an die Kinder des zuerst versterbenden Ehepartners ein Vermächtnis in Höhe des Wertes des kompletten Nachlasses des zuerst versterbenden Ehepartners ausbezahlen.

Wiederverheiratungsklausel knebelt den überlebenden Ehepartner

Im Ergebnis sah die Wiederverheiratungsklausel demnach sinngemäß vor, dass der überlebende Ehepartner im Falle der erneuten Eingehung einer Ehe den Gegenwert des kompletten Nachlasses, wozu auch Immobilienwerte gehörten, verlieren und an die Kinder abgeben sollte.

Wörtlich hieß es in dem Erbvertrag wie folgt:

Sollte der Überlebende sich wieder verheiraten, so hat er an die etwaigen Abkömmlinge des Erstverstorbenen als Vermächtnisse Geldbeträge heraus zu bezahlen, die gleich sind dem Werte des Nachlasses des Erstverstorbenen unter Berücksichtigung der ausgleichungspflichtigen Vorausempfänge.

Im August 1982 verstarb die Ehefrau. Der Ehemann heiratete in der Folge erneut.

Zwanzig Jahre später, im Sommer 2002, erfuhren die beiden Söhne des Ehepaares von dem Inhalt des Erbvertrages und der sie offensichtlich begünstigenden Wiederverheiratungsklausel.

Die beiden Söhne traten daraufhin an ihren Vater heran und forderten ihn auf, über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu geben.

Söhne fordern ihr Vermächtnis ein

Auf Grundlage dieser Auskunft wollten die beiden Söhne die in dem Erbvertrag aus dem Jahr 1968 zu ihren Gunsten ausgesetzten Vermächtnisse beziffern und geltend machen.

Nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht zustande kam, erhoben die beiden Söhne Klage. In dem gerichtlichen Verfahren wurde der maßgebliche Nachlasswert auf einen Betrag in Höhe von 80.742,75 Euro beziffert.

Hiervon ausgehend verlangten die beiden Söhne von ihrem Vater Beträge in Höhe von 22.271,65 Euro bzw. 35.258,46 Euro. Bei diesen Forderungen wurde berücksichtigt, dass der beklagte unterschiedlich hohe Gegenforderungen gegen seine Söhne wegen der Rückzahlung von Darlehen hatte.

Der beklagte Vater hatte in erster Instanz vor dem Landgericht argumentiert, dass die in dem Erbvertrag enthaltene Wiederverheiratungsklausel sittenwidrig und nichtig sei. Einen Vermächtnisanspruch seiner Söhne verneinte er daher.

Söhne bekommen nur den Pflichtteil

Das Landgericht folgte dieser Argumentation und billigte den klagenden Söhnen lediglich einen wertmäßig niedrigeren Pflichtteilsanspruch nach dem Tod ihrer Mutter zu.

Sowohl der Vater als auch die Söhne legten gegen dieses Urteil Berufung ein. Der Vater monierte, dass die Pflichtteilsansprüche nicht zutreffend ermittelt worden seien. Die Söhne beharrten auf der Wiederverheiratungsklausel und verfolgten mit der Berufung ihre Vermächtnisansprüche gegen ihren Vater weiter.

Das Oberlandesgericht gab der Berufung der beiden Söhne statt, die Berufung des Vaters wurde hingegen als unbegründet zurückgewiesen.

Auch das OLG bewertet die Klausel als sittenwidrig

Dabei billigte das OLG die Wertung des Erstgerichts zur Frage der Wirksamkeit der Wiederverheiratungsklausel. Ebenso wie das Landgericht bewertete das OLG die Klausel als sittenwidrig und damit unwirksam.

Die Sittenwidrigkeit der Klausel ergab sich für das OLG aus dem Umstand, dass die Wiederverheiratungsklausel vorliegend eingesetzt wurde, um den Ehemann und alleinigen Erben dazu zu bewegen, seine Lebensführung an den Vorstellungen der Erblasserin auszurichten.

In Anlehnung an die so genannte Hohenzollern-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.3.2004, Az.: 1 BvR 2248/01) sei auch im vorliegenden Fall die Testierfreiheit des Erblassers einerseits und der ebenfalls durch die Verfassung geschützte Eheschließungsfreiheit gegeneinander abzuwägen.

Drastische Vermögensnachteile bei Eingehung einer Ehe

Immer dann, wenn der überlebende Ehepartner nur deswegen von seinem grundgesetzlich garantierten Recht, eine Ehe einzugehen, keinen Gebrauch macht, weil ihn dann drastische Vermögensnachteile hinsichtlich des Nachlasses des verstorbenen ersten Ehepartners treffen können, komme eine Sittenwidrigkeit und damit die Unwirksamkeit der Wiederverheiratungsklausel in Betracht.

Hierbei seien sämtliche Unstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen.

Es komme hier darauf an, so das OLG,

wie intensiv auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten eingewirkt wird, ob die Höhe des zugewandten Vermögensvorteils die Willensentscheidung wirklich zu beeinflussen geeignet ist, wie stark in den Bereich höchstpersönlicher Lebensplanung eingegriffen wird, inwieweit die Motive des Erblassers als rechtfertigende Grundlage seiner Regelung anzuerkennen sind und ob sie das Gewicht der Beeinträchtigung des Betroffenen kompensieren können“ .

Nach Wertung all dieser Umstände kam das OLG zu dem Schluss, dass die Wiederverheiratungsklausel im zu entscheidenden Fall sittenwidrig sei.

Klausel erzeugt zu hohen wirtschaftlichen Druck

Der wirtschaftliche Druck auf den überlebenden Ehemann, aus finanziellen Gründen keine neue Ehe eingehen zu wollen, sei zu hoch gewesen. Insbesondere sah die Klausel nicht vor, dem Ehemann im Falle der Wiederverheiratung einen Teil des Nachlasses, z.B. in Form seines Pflichtteils, zu belassen.

Unbedenklich seien Wiederverheiratungsklauseln nur dann, so das OLG, wenn dem überlebenden Ehegatten auch bei Wiederverheiratung jedenfalls ein gewisser Anteil am Nachlasswert verbleibt.

Mit der Wertung der Wiederverheiratungsklausel als sittenwidrig und nichtig war die Argumentationskette des OLG aber noch nicht beendet.

Unwirksame Klausel wird vom Gericht ausgelegt

Im vorliegenden Fall sei die eigentlich unwirksame Klausel nämlich, so das OLG, im Wege einer geltungserhaltenden Auslegung dahingehend zu verstehen, dass die beiden klagenden Söhne zwar ihre Vermächtnisansprüche nicht in voller Nachlasshöhe fordern könnten, jedoch sehr wohl reduziert in einer Höhe, die sich nach Abzug eines hypothetischen Pflichtteils des Beklagten vom maßgeblichen Nachlasswert ergebe.

Hätten die Eheleute nämlich einkalkuliert, dass die fragliche Wiederverheiratungsklausel in dem Erbvertrag unwirksam ist, hätten sie, so das OLG eine Gestaltung gewählt, die sowohl den Interessen der Kinder als auch des überlebenden Ehepartners entgegen gekommen wäre.

Sie hätten demnach dem überlebenden Ehepartner im Falle der Wiederverheiratung zumindest den Pflichtteil am Nachlass des zuerst versterbenden Ehepartners belassen.

Die beiden klagenden Söhne konnten ihre Vermächtnisansprüche gegen ihren Vater entsprechend nicht bezogen auf die volle Nachlasshöhe durchsetzen.

Dem Vater wurde gestattet, bei der Berechnung der Vermächtnisse jedenfalls seinen Pflichtteil mindernd zu berücksichtigen.

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