Erbrechtliche Bindung durch gemeinsames Testament oder Erbvertrag? Adoption oder Wiederverheiratung kann dem Erblasser Handlungsspielraum verschaffen!
- Gemeinsames Testament und Erbvertrag binden den Erblasser regelmäßig
- Erblasser kann seinen eigenen letzten Willen unter Umständen anfechten
- Widerverheiratung und Adoption eröffnen ein Anfechtungsrecht
Die Vorstellungen eines Erblassers über die Regelung der eigenen Erbfolge können sich im Laufe der Zeit durchaus ändern.
Hat ein Erblasser beispielsweise in den 70er oder 80er Jahren seinen letzten Willen verfasst, in dem er klassischerweise seine Kinder und seinen Partner bedacht hat, so können sich die Verhältnisse im Laufe der Jahre nachhaltig geändert haben.
Ist der Kontakt zu den Kindern zum Beispiel schon vor längerer Zeit abgebrochen und ist der Partner bereits vorverstorben, dann ist es mehr als normal, wenn sich der Erblasser im hohen Alter Gedanken über eine Revision seiner Erbfolgeregelung macht.
Hat der Erblasser seine Erbfolge bisher in einem Einzeltestament geregelt, dann ist eine Abänderung seiner Erbfolge dem Grunde nach auch kein Problem. Der Erblasser muss lediglich in einem neuen Testament sein altes Testament widerrufen und ist dann frei, in dem neuen Testament die Weitergabe seines Vermögens neu zu regeln.
Bindungswirkung von Ehegattentestament und Erbvertrag
Komplizierter ist die Rechtslage, wenn der Erblasser seine Vermögensnachfolge bisher in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament oder in einem Erbvertrag geregelt hat.
Von einem gemeinsamen Testament und auch von einem Erbvertrag geht nämlich oft (nicht immer) eine Bindungswirkung aus. Erbrechtliche Regelungen, die in einem gemeinsamen Testament oder in einem Erbvertrag getroffen worden sind, können häufig nicht ohne weiteres wieder aufgehoben werden.
So genannte wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinsamen Testament und so genannte vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag binden den Erblasser und können in aller Regel nicht durch ein zeitlich späteres Einzeltestament aufgehoben werden.
Hatte der Erblasser beispielsweise ehedem gemeinsam mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Testament oder Erbvertrag die beiden gemeinsamen Kinder als Schlusserben nach dem Tod beider Ehepartner eingesetzt, dann spricht viel dafür, dass diese Regelung bindend ist und vom Erblasser auch dann nicht abgeändert werden kann, wenn sich sein Verhältnis zu seinen Kindern drastisch verschlechtert hat.
Ausweg für den Erblasser: Anfechtung der eigenen letztwilligen Verfügung
Ein Erblasser, der mit einer solchen Situation konfrontiert ist, sucht naturgemäß nach Auswegen.
Eine Möglichkeit, trotz bindendem gemeinsamen Testament oder Erbvertrag wieder die volle Testierfreiheit zu erhalten, kann in einer Anfechtung des bestehenden letzten Willens nach § 2079 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) bestehen.
Nach § 2079 BGB gilt folgendes:
Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.
Liegen die Voraussetzungen des § 2079 BGB vor, dann hat der Erblasser noch zu Lebzeiten selber in der Hand, das ihn bindende Testament bzw. den ihn bindenden Erbvertrag mittels einer Anfechtung aus der Welt zu schaffen.
Anfechtung von Testament oder Erbvertrag nach Wiederverheiratung oder Adoption
Voraussetzung ist, dass der Erblasser entweder nach dem Tod seines Partners nochmals heiratet oder dass er eine dritte Person adoptiert.
In beiden Fällen werden kraft Gesetz Pflichtteilsansprüche – entweder des neuen Partners oder des Adoptierten – begründet.
Die Existenz von Pflichtteilsberechtigten, die der Erblasser naturgemäß bei Abfassung seines zeitlich früheren letzten Willens noch nicht kannte, eröffnet sowohl dem Erblasser zu Lebzeiten als auch dem neuen Partner bzw. der adoptierten Person ein Anfechtungsrecht nach § 2079 BGB.
Ist die Anfechtung nach § 2079 BGB wirksam und fristgerecht (§ 2082 BGB) erklärt, dann führt dies regelmäßig zur Gesamtnichtigkeit des alten Testaments bzw. Erbvertrags.
Der Erblasser kann in diesem Fall ohne jede Bindung neu testieren und seine Erbfolge an die neuen Verhältnisse anpassen.
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