Eheleute schließen einen umfassenden Ehe- und Erbvertrag ab – Hat die Ehefrau in dem Vertrag stillschweigend auf ihren Pflichtteil verzichtet?
OLG Düsseldorf – Urteil vom 09.07.2021 – 7 U 110/20
- Ein Ehe- und Erbvertrag schränkt das Erbrecht der Partner deutlich ein
- Nach dem Tod des Ehemannes wird behauptet, dass die Ehefrau auf ihren Pflichtteil verzichtet hätte
- OLG korrigiert die Entscheidung des Landgerichts: Der Anspruch auf den Pflichtteil besteht
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte über die Frage zu entscheiden, ob eine Ehefrau in einem notariellen Ehe- und Erbvertrag auf ihren Pflichtteil verzichtet hatte.
In der Angelegenheit hatte ein Ehepaar am 24.08.1998 kurz vor ihrer Eheschließung einen notariellen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen.
Die Eheleute vereinbarten dabei in dem Vertrag den Güterstand der Gütertrennung und wurden in diesem Zusammenhang von dem Notar darüber belehrt, dass „sich die gesetzlichen Erbquoten und Pflichtteilsquoten ändern“ würden.
Die Erbfolge begünstigt alleine die Kinder der Eheleute
Auch bei der Regelung ihrer Erbfolge legten die Eheleute Wert darauf, ihre Vermögen zu separieren.
Der Ehemann setzte in dem Erbvertrag seine Tochter aus erster Ehe als alleinige Erbin ein.
Die Ehefrau wiederum benannte ihre drei Kinder aus erster Ehe als ihre Erben.
Erbvertrag enthält ein Vermächtnis zugunsten der Ehefrau
Der Ehemann ordnete in dem Erbvertrag zugunsten seiner Ehefrau lediglich ein Vermächtnis in Form eines lebenslangen Wohnrechts an einer im Eigentum des Ehemannes stehenden Immobilie an.
Anfang des Jahres 2019 verstarb dann der Ehemann.
Die Ehefrau schlug nach dem Erbfall das zu ihren Gunsten ausgesetzte Vermächtnis nach § 2307 BGB aus und forderte von der alleinerbenden Tochter des Erblassers den Pflichtteil.
Tochter des Erblassers will keinen Pflichtteil bezahlen
Die Tochter des Erblassers weigerte sich aber, der Forderung der Ehefrau nachzukommen. Die Alleinerbin machte vielmehr geltend, dass die Ehefrau in dem notariellen Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahr 1998 zumindest konkludent auf ihren Pflichtteil verzichtet habe.
Die Sache ging zu Gericht und das Landgericht folgte in erster Instanz der Argumentation der Erbin.
Das Landgericht wies die Klage der Ehefrau auf ihren Pflichtteil mit der Begründung ab, dass die Ehefrau in dem Ehe- und Erbvertrag auf ihren Pflichtteil verzichtet habe.
Ehefrau legt Berufung zum Oberlandesgericht ein
Gegen diese Entscheidung legte die Ehefrau aber Berufung zum Oberlandesgericht ein und erhielt dort auch Recht.
Das OLG hob das Urteil des Landgerichts auf.
Das OLG stellte dabei in der Begründung seiner Entscheidung fest, dass dem Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahr 1998 kein von der Ehefrau konkludent erklärter Verzicht auf den Pflichtteil zu entnehmen sei.
Gibt es überhaupt einen konkludenten Verzicht auf den Pflichtteil?
Dabei wies das OLG einleitend darauf hin, dass es in Literatur und Rechtsprechung durchaus umstritten sei, ob ein konkludenter Verzicht auf den Pflichtteil überhaupt möglich ist.
Diese Frage musste das Gericht aber nicht entscheiden, da es dem Ehe- und Erbvertrag jedenfalls keinen solchen Verzicht entnehmen konnte.
Der notarielle Vertrag aus dem Jahr 1998 enthalte, so das OLG, nicht einmal andeutungsweise eine Formulierung, mit der die Ehefrau auf ihren Pflichtteil verzichtet hätte.
Auf den Pflichtteil wurde nie verzichtet
Ganz im Gegenteil würde die fragliche Formulierung in dem notariellen Vertrag, wonach sich durch die Vereinbarung der Gütertrennung die „Pflichtteilsquoten ändern“ würden, darauf hindeuten, dass den Eheleuten im Erbfall sehr wohl ein Pflichtteilsrecht zustehen sollte.
Zwar hätten die Eheleute in dem Ehe- und Erbvertrag jeweils ihr eigenes Erbrecht nach dem Tod des Partners deutlich beschränkt.
Dies würde aber nicht gleichzeitig bedeuten, dass auch Pflichtteilsrechte ausgeschlossen sein sollten.
Im Ergebnis konnte die Ehefrau damit von der Tochter des Erblassers ihren Pflichtteil fordern.
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