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Pflichtteilsstrafklausel im Testament – Wann fordert ein Kind seinen Pflichtteil und verliert damit seinen Erbteil?

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Rostock – Beschluss vom 11.12.2014 – 3 W 0138/13

  • Eltern sehen in ihrem Testament für den ersten Erbfall eine Pflichtteilsstrafklausel vor
  • Tochter fordert noch vor Testamentseröffnung nach dem Tod der Mutter ihren Pflichtteil ein
  • Tochter hat Glück und verliert ihre Erbenstellung nicht

Das Oberlandesgericht Rostock hatte darüber zu befinden, ab wann eine in einem Ehegattentestament enthaltene so genannte Pflichtteilsklausel von einem Kind, das seinen Pflichtteil fordert, ausgelöst wird.

Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt war relativ typisch. Ein Ehepaar hatte 19.02.2003 ein gemeinsames Testament errichtet. In diesem Testament setzten sich die Eheleute wechselseitig als Erben ein. Schlusserben des überlebenden Ehepartners sollten die beiden Kinder der Eheleute sein.

Kinder sollen von der Geltendmachung des Pflichtteils abgehalten werden

Um dem überlebenden Ehepartner im ersten Erbfall möglichen Ärger zu ersparen und zu verhindern, dass die Kinder im ersten Erbfall ihren Pflichtteil fordern, enthielt das Testament eine so genannte Pflichtteilsstrafklausel:

"Sollte eines unserer Kinder nach dem Erstversterbenden den Pflichtteil fordern, soll es auch nach dem Letztversterbenden auf den Pflichtteil beschränkt sein."

Die Ehefrau verstarb am 11.07.2003. Das Testament der Eheleute wurde am 12.12.2003 vom Nachlassgericht eröffnet und vom Gericht am 16.12.2003 an die Kinder der Eheleute versandt.

Rechtsanwalt fordert für die Tochter den Pflichtteil ein

Bereits am 13.11.2003 hatte sich für die Tochter des Ehepaares ein Rechtsanwalt bei dem Ehemann und Alleinerben gemeldet. Er teilte dem Alleinerben mit, dass seine Tochter ihn beauftragt habe, den Pflichtteilsanspruch nach dem Tod ihrer Mutter geltend zu machen. Der Anwalt forderte den Ehemann auf, Auskunft über Bestand und die Höhe des Erbes zu erteilen.

In der Folge beauftragte auch der erbende Vater einen Anwalt, der die erbetene Auskunft erteilte und auch schon einen Pflichtteilsanspruch bezifferte. Zuletzt nahm der Anwalt der Tochter mit Schreiben vom 22.12.2003 zu einzelnen Bewertungsfragen Stellung. Zu einer tatsächlichen Durchsetzung des geltend gemachten Pflichtteils kam es nicht.

Der Ehemann und Vater errichtete im Jahr 2010 ein weiteres Testament. In diesem Testament setzte er seinen Sohn als alleinigen Erben ein.

Sohn reklamiert alleinige Erbenstellung für sich

Nach dem Tod des Vaters im Januar 2013 stritten sich die beiden Geschwister über die Erbfolge. Der Sohn vertrat die Auffassung, dass er alleiniger Erbe geworden sei, da seine Schwester ja nach dem Tod der Mutter ihren Pflichtteil gefordert habe. Die Tochter machte geltend, dass sie hälftige Miterbin nach dem Tod des Vaters sei.

Sie habe den Pflichtteil nach dem Tod der Mutter nie ernsthaft gefordert und daher auch die Pflichtteilsklausel nicht ausgelöst.

Im Erbscheinverfahren teilte das Nachlassgericht mit, dass es den Argumenten des Sohnes folgen wolle und diesem einen Erbschein als alleinigen Erben ausstellen wolle.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Tochter zum Oberlandesgericht.

OLG gibt der Beschwerde der Tochter statt

Das Oberlandesgericht änderte den Beschluss des Nachlassgerichts ab und gab der Tochter Recht.

In der Begründung der Entscheidung wies das OLG darauf hin, dass Wirkung der Pflichtteilsstrafklausel durch die Tochter nicht ausgelöst worden sei.

Eine Pflichtteilsstrafklausel werde, so das OLG, „durch das bewusste Geltendmachen des Pflichtteils in Kenntnis der Klausel ausgelöst“.

Objektiv, so räumte das OLG ein, konnte der Ehemann und Alleinerbe das Verhalten seiner anwaltlich vertretenen Tochter zwar als Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Tod der Mutter verstehen.

Tochter war nicht bewusst, was die Forderung des Pflichtteils auslöst

Subjektiv erfordere die Verwirkung der Pflichtteilsstrafklausel aber, dass der Betroffene seinen Anspruch auf den Pflichtteil in Kenntnis der Strafklausel bewusst geltend macht. An dieser Voraussetzung ließen die Richter des OLG die Auslösung der Pflichtteilsklausel scheitern.

Als der Anwalt der Tochter das erste Schreiben an den Erben sandte, war das Testament der Eheleute noch gar nicht eröffnet und der Tochter mithin nicht bekannt.

Auch eine anderweitige Kenntnis der Tochter von dem Inhalt des Testaments und insbesondere der Pflichtteilsklausel konnte in dem Verfahren nicht nachgewiesen werden.

Nachdem die Tochter nach dem letzten Anwaltsschreiben vom 22.12.2003 nichts mehr unternommen habe, um ihren Pflichtteilsanspruch durchzusetzen, hielten die Richter des OLG die Pflichtteilsklausel nicht für verwirkt.

Das vom Erblasser im Jahr 2010 verfasste weitere Testament konnte ebenfalls nichts mehr daran ändern, dass die Tochter hälftige Miterbin wurde.

Dieses Testament war insoweit unwirksam, als der Erblasser durch das gemeinsame Ehegattentestament gehindert war, eine abweichende Erbfolgeregelung zu treffen.

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