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Notarielles Nachlassverzeichnis beim Pflichtteil – Was tun, wenn der Notar den Nachlass nur halbherzig ermittelt?

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Ein Notar muss die Grundlagen für den Pflichtteil selbständig ermitteln
  • Im Zweifel sind vom Notar Kontoauszüge des Erblassers für die letzten 10 Jahre zu überprüfen
  • Ist das notarielle Nachlassverzeichnis mangelhaft, drohen dem Erben Zwangsgelder

Wenn ein naher Angehöriger nach dem Erbfall erfährt, dass er vom Erblasser in einem Testament oder in einem Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, dann ist der Betroffene aus zweierlei Gründen nicht zu beneiden.

Zum einen steht für den enterbten Abkömmling oder auch den enterbten Ehepartner des Erblassers mit der Nachricht von seiner Enterbung fest, dass er am Nachlass des Verstorbenen nur in einem reduzierten Umfang partizipiert.

Hat der Betroffene diese Information erst einmal verdaut, dann muss der Pflichtteilsberechtigte weiter davon ausgehen, dass auch die Geltendmachung und Durchsetzung seines Pflichtteils unter Umständen ein extrem belastendes Unterfangen wird.

Die gesetzliche Konstruktion zum Auskunftsrecht kommt in der Praxis an seine Grenzen

Die Probleme, die der Pflichtteilsberechtigte regelmäßig mit der Realisierung seines Anspruchs bekommt, liegen in der vom Gesetz vorgesehenen Grundkonstellation des Pflichtteilrechts begründet.

Schuldner des Pflichtteils ist nämlich der Erbe.

Gegenüber dem Erben muss der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch beziffert einfordern.

Der Pflichtteilsberechtigte ist oft ahnungslos

Der Pflichtteilsberechtigte hat aber oft keine Ahnung, in welcher Höhe ihm Ansprüche gegen den Erben zustehen, da dem Pflichtteilsberechtigten häufig keine oder nur ungenügende Informationen zu Zusammensetzung und Wert des Nachlasses vorliegen.

Diese Wissenslücke soll, so die Vorstellung des Gesetzes, durch einen umfangreichen Auskunftsanspruch in § 2314 BGB geschlossen werden, der dem Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben zusteht.

Der Schuldner eines Anspruchs soll also dafür sorgen, dass der Gläubiger des Anspruchs diejenigen Informationen erhält, die den Gläubiger in die Lage versetzen, seinen Anspruch in voller Höhe realisieren zu können.

Erbe hat keinerlei Interesse daran, alle Karten aufzudecken

Man muss nicht Rechtswissenschaften studiert haben, um ahnen zu können, dass diese Gleichung in vielen Fällen nicht aufgeht.

Der mit dem Pflichtteil belastete Erbe hat überhaupt kein Interesse daran, den Pflichtteilsberechtigten in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch in der ihm zustehenden Höhe einfordern zu können.

Vielmehr versucht der Erbe regelmäßig Nachlassvermögen vor dem Pflichtteilsberechtigten zu verschweigen oder zu verschleiern.

Auch ein notarielles Nachlassverzeichnis hilft nur bedingt

In seiner Not versucht der Pflichtteilsberechtigte dann seine Informationsdefizite durch die Anforderung eines „notariellen Nachlassverzeichnisses“ zu beheben.

Alleine der Umstand, dass zu Qualität und Umfang eines solchen notariellen Nachlassverzeichnisses vor deutschen Gerichten regelmäßig heftige gerichtliche Auseinandersetzungen entbrennen, lassen den Pflichtteilsberechtigten ahnen, dass das notarielle Nachlassverzeichnis offenbar auch nicht in jedem Fall eine Gewähr dafür bietet, dass er endlich Klarheit über den Nachlass und seinen Pflichtteil erhält.

Tatsächlich lassen auch notarielle Nachlassverzeichnisse in der Praxis regelmäßig zu wünschen übrig.

Der Notar muss selbständig ermitteln

Dabei lesen sich die einschlägigen Gerichtsurteile zu den Pflichten eines Notars für den Pflichtteilsberechtigten zunächst noch relativ hoffnungsfroh.

So hat z.B. das Oberlandegericht Hamm (Beschluss vom 09.03.2021, Az.: I-10 U 90/20) in einer unlängst veröffentlichen Entscheidung die Pflichten des Notars wie folgt zusammengefasst:

  • Der Notar muss den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln.
  • Der Notar darf sich bei seinen Ermittlungen nicht auf die Angaben des Erben beschränken, sondern er muss selber ermitteln.
  • Der Notar muss sowohl den Nachlass selber als auch den so genannten fiktiven Nachlass (Schenkungen des Erblassers!) selbständig ermitteln.
  • Im Zweifel muss der Notar in die vollständigen Kontoauszüge des Erblassers für einen Zeitraum von 10 Jahren vor dem Erbfall Einsicht nehmen. Kosten für die Beibringung der Kontoauszüge sind vom Erben zu tragen.

Diese vom OLG Hamm unter Bezugnahme auf verschiedene obergerichtliche Entscheidungen dargestellten Grundsätze sind eigentlich Binsenweisheiten.

Trotzdem darf man getrost davon ausgehen, dass solche oder ähnliche Auseinandersetzungen, wie vom OLG Hamm entschieden, auch noch in den kommenden Jahren zahllose Gerichte in Deutschland beschäftigen werden.

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