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Nach dem Tod eines in Deutschland lebenden britischen Staatsangehörigen können Pflichtteilsansprüche entstehen!

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Köln – Urteil vom 22.04.2021 – 24 U 77/20

  • Erblasser ist Brite, lebt in Deutschland und will auf seinen Erbfall englisches Recht angewendet wissen
  • Das englische Erbrecht kennt kein Pflichtteilsrecht
  • Die Anwendung englischen Rechts verstößt in diesem Punkt gegen die öffentliche Ordnung in Deutschland

Das Oberlandesgericht Köln hatte über eine Pflichtteilsklage zu entscheiden.

In der Angelegenheit war der Erblasser im Jahr 2018 verstorben.

Der Erblasser war in England geboren und besaß sowohl die deutsche als auch die britische Staatsbürgerschaft.

Erblasser lebt über dreißig Jahre in Deutschland

Im Jahr 1965 hatte der Erblasser seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt und hatte vor seinem Ableben in Deutschland über drei Jahrzehnte keinen Kontakt mehr nach England.

Am 13.03.2015 hatte der Erblasser ein Testament errichtet.

In diesem Testament hatte der Erblasser die spätere Beklagte als alleinige Erbin eingesetzt.

Adoptivsohn des Erblassers wird durch Testament enterbt

Mit dieser Erbfolgeregelung hatte der Erblasser aber auch gleichzeitig seinen Adoptivsohn von der Erbfolge ausgeschlossen und damit - nach deutschem Recht - einen Pflichtteilsanspruch des Adoptivsohnes ausgelöst.

Das Testament des Erblassers enthielt aber gleichzeitig noch die Besonderheit, dass der Erblasser für seine gesamte Erbfolge bestimmt hatte, dass alleine das englische Recht gelten solle.

Diese in seinem Testament getroffene Rechtswahl des Erblassers war für das spätere Streitverfahren deswegen von Relevanz, als das englische Erbrecht für enterbte Kinder grundsätzlich kein Recht auf den Pflichtteil kennt.

Adoptivsohn klagt vor deutschem Gericht seinen Pflichtteil ein

Einen solchen Pflichtteilsanspruch machte aber der vom Erblasser enterbte Adoptivsohn gegen die Alleinerbin vor dem Landgericht Köln geltend.

Mit der Klage begehrte der Adoptivsohn des Erblassers von der Erbin Auskunft über den Bestand des Nachlasses.

Vom Landgericht wurde die Klage des Pflichtteilsberechtigten in erster Instanz als unbegründet abgewiesen.

Klage wird in erster Instanz vom Landgericht abgewiesen

Deutsche Gerichte seien zwar für die Angelegenheit zuständig, so das Landgericht Köln, jedoch stehe dem Pflichtteilsberechtigten kein Anspruch auf den Pflichtteil zu, da der Erblasser für seinen Erbfall wirksam die Geltung englischen Rechts gewählt habe und dieses englische Recht kein Recht auf den Pflichtteil kenne.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts legte der Adoptivsohn des Erblassers Berufung zum Oberlandesgericht Köln ein.

Das OLG teilte die rechtliche Beurteilung des Landgerichts nicht und gab dem Pflichtteilsberechtigten Recht.

Englisches Recht verstößt gegen ordre public in Deutschland

Das OLG stützte seine Entscheidung auf Art.35 EuErbVO. Danach gilt folgendes:

Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates darf nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.

Danach darf ein deutsches Gericht eine Rechtsnorm dann nicht anwenden, wenn diese Rechtsnorm mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich nicht vereinbar ist.

Zu diesen wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts zähle eben auch das in den §§ 2303 ff. BGB normierte Pflichtteilsrecht als „grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung“ an dem Nachlass eines nahen Familienangehörigen.

Englisches Recht ist im entscheidenden Punkt nicht anwendbar

Mit diesem auch durch die deutsche Verfassung verbürgten Pflichtteilsrecht sei das englische Recht offenbar nicht vereinbar.

Da die Anwendung englischen Rechts auf den Erbfall damit ausschied, konnte der Adoptivsohn von der Alleinerbin auch verlangen, dass diese ihm Auskunft über den Bestand des Nachlasses gibt.

Nachdem vom OLG Köln vorliegend aber die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen wurde, geht die Angelegenheit möglicherweise noch in eine dritte Runde.

Update: Die Revision gegen das Urteil des OLG Köln wurde vom BGH mit Urteil vom 29.06.2022, IV ZR 110/21, als unbegründet zurückgewiesen.

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