Anrechnung von lebzeitigen Zuwendungen auf den Pflichtteil – Erblasser kann den Wert der Zuwendung bestimmen
Bayerischer Verfassungsgerichtshof – Entscheidung vom 16.12.2005 – Vf. 129-VI/04
- Vater schenkt Tochter Grundstück und ordnet die Anrechnung auf den Pflichtteil an
- Tochter scheitert vor den Zivilgerichten mit einer Klage gegen die Anrechnung
- Auch eine Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile der Zivilgerichte wird abgewiesen
Einen etwas ungewöhnlichen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen des Landgerichts und Oberlandesgerichts Nürnberg wählte eine Pflichtteilsberechtigte, die mit der Berechnung des ihr zustehenden Pflichtteils offenbar nicht einverstanden war.
Sie ließ ihren Anwalt Verfassungsbeschwerde zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen die Entscheidungen der Zivilgerichte erheben.
In der Sache war der Vater der Beschwerdeführerin im Jahr 1991 verstorben. Er hatte seinen Sohn, den Bruder der Beschwerdeführerin, in einer letztwilligen Verfügung zum Alleinerben eingesetzt.
Enterbung führt zu Pflichtteilsansprüchen
Den restlichen Familienmitgliedern, so auch der Beschwerdeführerin, standen Pflichtteilsansprüche gegen den Alleinerben zu.
Streit entzündete sich jetzt in Zusammenhang mit der Ermittlung der Höhe des der Beschwerdeführerin zustehenden Pflichtteilsanspruchs. Sie hatte nämlich noch zu Lebzeiten des Erblassers von diesem ein Grundstück geschenkt erhalten.
Im Rahmen dieser Schenkung hatte der Erblasser angeordnet, dass sich die Beschwerdeführerin den Wert dieser Zuwendung auf einen späteren Pflichtteil anrechnen lassen muss.
Für die Wertberechnung der Anrechnung soll es auf den Wert des Geschenkes zum Zeitpunkt des Erbfalls ankommen
Als Besonderheit hatte der Erblasser – insoweit abweichend von der Regelung in § 2315 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) – angeordnet, dass für die Wertberechnung des Grundstücks nicht der Zeitpunkt der Zuwendung, sondern der Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich sein solle.
Durch diese Anordnung sah sich die Pflichtteilsberechtigte unfair behandelt, da das Grundstück seit dem Zeitpunkt der Zuwendung offenbar eine kräftige Wertsteigerung erfahren hatte. Sie verklagte den alleinigen Erben mit dem Ziel, dass sie sich das Geschenk des Vaters lediglich mit dem Wert zum Zeitpunkt der Zuwendung, und nicht zum Zeitpunkt des Erbfalls anrechnen lassen wollte.
Die Zivilgerichte folgten diesem Ansinnen nicht. Das Landgericht bestätigte in erster Instanz ausdrücklich, dass es dem Erblasser unbenommen ist, die Anordnung der Anrechnung des Geschenks im Zeitpunkt des Erbfalls vorzunehmen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Letzter Ausweg: Das Verfassungsgericht
Die Beschwerdeführerin wollte sich mit diesen Entscheidungen aber nicht zufrieden geben und zog vor das bayerische Verfassungsgericht. Dort brachte sie vor, dass sie durch die ihrer Auffassung nach falschen Entscheidungen der Zivilgerichte in ihren verfassungsgemäßen Rechten verletzt worden sei.
Die Verfassungsrichter konnten der Beschwerdeführerin allerdings auch nicht helfen. Die Richter wiesen vielmehr darauf hin, dass sie eine auf Bundesrecht beruhende Entscheidung der Zivilgerichte nicht auf ihre materielle Richtigkeit hin, sondern allenfalls daraufhin untersuchen könnten, ob die Entscheidung willkürlich ergangen ist, Artikel 118 Bayerische Verfassung.
Lediglich eine „schlechthin unhaltbare, offensichtlich rechtswidrige und eindeutig unangemessene“ Entscheidung der Zivilgerichte rechtfertige ein Eingreifen des Landesverfassungsgerichts.
Von diesem Prüfungsmaßstab ausgehend stellte das Verfassungsgericht fest, dass kein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegen würde. Die von den Zivilgerichten getroffenen Entscheidungen waren nach Auffassung der Verfassungsrichter vielmehr „nachvollziehbar und einleuchtend“.
Auch die Verfassungsbeschwerde wurde danach kostenpflichtig zurückgewiesen.
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