Hat der Vermächtnisnehmer einen Auskunftsanspruch gegen den Erben?

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Erbe muss dem Vermächtnisnehmer zentrale Informationen zukommen lassen
  • Das Gesetz kennt keinen Auskunftsanspruch für den Vermächtnisnehmer
  • Gerichte billigen einen Auskunftsanspruch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben zu

Nach § 2174 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) kann ein Vermächtnisnehmer vom Erben oder einer sonstigen mit dem Vermächtnis belasteten Person „die Leistung des vermachten Gegenstandes“ fordern. Das Gesetz beschränkt sich demnach darauf, dem Vermächtnisnehmer ein Forderungsrecht gegen den Erben einzuräumen.

Es kommt jedoch immer wieder vor, dass der Vermächtnisnehmer in Zusammenhang mit der Realisierung seines Anspruchs Auskünfte vom Erben über Existenz oder Werthaltigkeit des Vermächtnisgegenstandes benötigt.

Augenfällig ist ein solches Informationsbedürfnis des Vermächtnisnehmers zum Beispiel dann, wenn der Erblasser in seinem Testament zu Gunsten des Vermächtnisnehmers ein so genanntes Quotenvermächtnis angeordnet hat. Mit einem solchen Vermächtnis kann der Erblasser beispielsweise anordnen, dass der Vermächtnisnehmer einen Geldanspruch im Wert eines bestimmten Prozentsatzes vom Gesamtnachlass haben soll. Ein dergestalt begünstigter Vermächtnisnehmer ist ohne entsprechende Auskünfte durch den Erben schlechterdings nicht in der Lage, seine Forderung gegen den Erben zu beziffern.

Das Gesetz kennt keinen Auskunftsanspruch

Das Dilemma für den Vermächtnisnehmer ist nur, dass in den gesetzlichen Regelungen zum Vermächtnisrecht in den §§ 2147 ff. BGB ein Auskunftsanspruch mit keinem Wort erwähnt ist.

Entsprechend wird in der Kommentarliteratur vertreten, dass ein Auskunftsanspruch zugunsten des Vermächtnisnehmers tatsächlich nur besteht, wenn dies der Erblasser in seinem Testament auch angeordnet hat oder ein solcher Anspruch aus dem letzten Willen des Erblassers zumindest im Wege der Auslegung abgeleitet werden kann.

Gerichte billigen im Einzelfall Auskunftsanspruch zu

Großzügiger sind in der Frage eines dem Vermächtnisnehmer zustehenden Auskunftsanspruchs aber die staatlichen Gerichte. Wenn und soweit der Vermächtnisnehmer vom Erben Informationen über den Vermächtnisgegenstand zur Durchsetzung seiner Rechte benötigt, sprechen die staatlichen Gerichte dem Vermächtnisnehmer einen Auskunftsanspruch zu. Ein solcher Rechtsanspruch wird von den Gerichten regelmäßig auf § 242 BGB gestützt. Die Gerichte vertreten dabei die Auffassung, dass der Auskunftsanspruch dem Vermächtnisnehmer mit dem Vermächtnis gleichsam mitvermacht ist.

Ist der Vermächtnisnehmer also ohne Verschulden über für die Geltendmachung seines Anspruchs notwendige Informationen in Unkenntnis und kann der Erbe diesem Umstand unschwer durch Erteilung der erbetenen Auskunft abhelfen, dann besteht zugunsten des Vermächtnisnehmers ein Auskunftsanspruch gegen den Erben.

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