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Unter welchen Umständen kann ein Notar bei Manipulationsverdacht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden werden?

Von: Dr. Georg Weißenfels

BGH – Urteil vom 20.07.2020 – NotZ (Brfg) 1/19

  • Sohn des Erblassers will nach erfolgter Enterbung in Notarakten Einsicht nehmen
  • Antrag auf Entbindung des Notars von seiner Verschwiegenheitspflicht scheitert mit seiner Klage in zwei Instanzen
  • BGH gibt dem Kläger Recht und hebt die Vorentscheidungen auf

Der Bundesgerichtshof hatte über die Frage zu befinden, unter welchen Umständen ein Notar von seiner Aufsichtsbehörde von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden werden kann.

In der Angelegenheit hatte der spätere Erblasser am 21.08.2012 mit seiner zweiten Ehefrau ein gemeinsames notarielles Testament errichtet.

In dem Testament setzte der spätere Erblasser gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau als Erben des zuletzt versterbenden Ehepartners zwei Kinder aus zweiter Ehe ein.

Erblasser enterbt seinen Sohn aus erster Ehe

Damit war der spätere Kläger, ein Sohn des Erblassers aus erster Ehe, von der Erbfolge ausgeschlossen.

In der Folge verstarb die Ehefrau des Erblassers im Jahr 2015, der Erblasser selber am 07.01.2016.

Im Rahmen der Testamentseröffnung wurde der Sohn des Erblassers aus erster Ehe von seiner Enterbung in Kenntnis gesetzt.

Sohn des Erblassers will Manipulationsverdacht nachgehen

Der Sohn des Erblassers meinte nach Inaugenscheinnahme des Originaltestaments Anzeichen dafür feststellen zu können, dass bei dem Original des Testaments Seiten ausgetauscht worden seien.

Um diesem Verdacht nachgehen, beantragte der Sohn des Erblassers bei der für den Urkundsnotar zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Präsidenten des Landgerichts, den Notar nach § 18 Abs. 2 NotO von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden.

Mit diesem Antrag wollte sich der enterbte Sohn des Erblassers die Möglichkeit eröffnen, das bei dem Nachlassgericht eingereichte Testament mit der bei dem Notar befindlichen „Ablichtung“ des Testaments zu vergleichen.

Antrag auf Entbindung des Notars von seiner Verschwiegenheitspflicht wird abgelehnt

Der Präsident des Landgerichts lehnte den Antrag des Sohnes des Erblassers mit der Begründung ab, dass eine solche Einsichtnahme nicht dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspreche. Im Übrigen seien die vorgebrachten Manipulationsvermutungen rein spekulativ.

Gegen den ablehnenden Bescheid klagte der Betroffene zum OLG Köln und beantragte auch dort, den Präsidenten des Landgerichts zu verpflichten, den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden.

Das OLG wies die Klage ab.

Das OLG hielt die Klage für möglicherweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

OLG vermisst eine überzeugende Begründung für den Klageantrag

Der Kläger habe, so das  OLG, keine überzeugende Begründung für seine Manipulationsvermutung vorgebracht. Im Übrigen hätten der Erblasser und seine Ehefrau als Ersteller der Testamentsurkunde mutmaßlich kein Interesse an einer Akteneinsicht durch den Kläger.

Gegen diese Entscheidung des OLG legte der Betroffene Berufung zum Bundesgerichtshof ein.

Der BGH gab dem Kläger Recht und hob die Entscheidung des OLG weitgehend auf.

Die Ablehnung des Präsidenten des Landgerichts, den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, verletzte, so der BGH, den Kläger in seinen Rechten.

BGH: Kläger wird in seinen Rechten verletzt

Es sei in solchen Fällen „nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden“, ob der Erblasser, wenn er noch leben würde,

„bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist.“

Soweit der Sohn von dem Testament seines Vaters betroffen sei, sei das Interesse des Vaters an der Geheimhaltung seines letzten Willens nach erfolgter Testamentseröffnung aber entfallen.

Kläger erhält Einsicht in die Akten des Notars

Dies gelte aber sowohl für das Original des Testaments als auch für die beim Notar verbliebene Abschrift.

Die von dem Sohn des Erblassers in diesem Zusammenhang als Grund für seinen Antrag vorgebrachte Manipulationsvermutung sei für die Begründetheit des Antrags nicht relevant, so der BGH weiter.

Im Ergebnis wurde der Präsident des Landgerichts verpflichtet, den Notar in Bezug auf den Teil des Testaments, der den Sohn des Erblassers betraf, von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden.

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