Typische Streitpunkte bei der Beurteilung der Testierfähigkeit eines Erblassers
- Ein Gericht benötigt belastbare Anknüpfungspunkte für eine Testierunfähigkeit
- Nicht jedes Gutachten ist gut
- Wie weit müssen die Ermittlungen des Gerichts gehen?
Die Frage der Testierfähigkeit eines Erblassers kann über Millionenwerte entscheiden.
Nicht selten wird in einem gerichtlichen Verfahren die Wirksamkeit eines Testaments mit dem Argument bekämpft, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung seines letzten Willens nicht mehr testierfähig war.
Ein solcher Streit dreht sich im Ausgangspunkt um folgende in § 2229 Abs. 4 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) niedergelegte Regelung:
Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.
Diese gesetzliche Vorschrift ist beispielsweise in einem streitigen Erbscheinverfahren mit Leben zu füllen und ein Gericht hat dann am Ende zu entscheiden, ob die Voraussetzungen dieser Norm gegeben sind.
Der Erblasser selber kann nicht mehr untersucht werden
Nachdem der Erblasser, um dessen Testierfähigkeit es im Einzelfall geht, für Fragen über seinen Zustand in einem solchen Verfahren regelmäßig nicht mehr zur Verfügung steht, sind die Beteiligten und das Gericht auf andere Erkenntnisquellen angewiesen, um am Ende zu einem Urteil zu kommen.
Ganz oben in der Rangliste stehen dabei (hoffentlich) vorliegende ärztliche oder psychiatrische Gutachten, die noch zu Lebzeiten des Erblassers erstellt wurden und qualifiziert über den Zustand des Erblassers Auskunft geben.
Bei solchen Gutachten sollte man allerdings auf die Kompetenz des Gutachtenerstellers achten.
Welche Qualifikation hat der Sachverständige?
So ist beispielsweise ein Facharzt für Sportmedizin eher ungeeignet, um Aussagen über die Testierfähigkeit eines Erblassers zu machen (OLG München, Beschluss vom 14.01.2020, 31 Wx 466/19).
Ein psychiatrisches Gutachten ist weiter nur dann aussagekräftig, wenn es auf Fakten basiert, die in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung erhoben wurden.
Entscheidend ist für die Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit immer der Tag der Errichtung des letzten Willens.
Insbesondere Gutachten, die auf Umständen beruhen, die den Erblasser nicht in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung beschreiben, können einen Streit über die Wirksamkeit eines Testaments nur in den seltensten Fällen entscheiden.
Demenz-Kurztests sind wenig bis gar nicht aussagekräftig
Bei Demenzverdacht in Bezug auf den Erblasser wird insbesondere von Hausärzten oft ein so genannter Mini-Mental-Status-Test (MMST) durchgeführt.
Die Ergebnisse eines solchen Tests sind in Streitverfahren über die Frage der Testierfähigkeit eines Erblassers allerdings nur begrenzt verwertbar, da solche Kurztests regelmäßig „keine zuverlässige Aussage über den Einzelfall“ zulassen (Cording/Nedopil, Psychiatrische Begutachtungen im Zivilrecht, S. 102).
Darüber hinaus sind auch sonstige hausärztliche Routinedokumentationen in Nachlassverfahren eher mit Vorsicht zu genießen.
Welchen Beweiswert haben ärztliche Dokumentationen?
Nach Feststellungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist nämlich „weder die ärztliche Dokumentation im allgemeinen, noch die Dokumentation in Betreuungsfällen … auf Beweissicherung im Hinblick auf die Testierfähigkeit ausgerichtet“ (Hans. OLG, Beschluss vom 10.05.2012, 2 W 96/11).
Ein Gutachten ist weiter nur so gut, wie der Ersteller des Gutachtens auf belastbare Anknüpfungstatsachen zugreifen konnte.
Die Beurteilung der Testierfähigkeit eines Menschen, den der Gutachter persönlich nie erlebt hat, alleine aufgrund schriftlicher und darüber hinaus bestrittener Zeugenaussagen ist regelmäßig angreifbar.
Das Nachlassgericht muss den Sachverhalt ermitteln
Wird eine demenzielle Erkrankung als Grund für die Testierunfähigkeit des Erblassers angegeben, dann kann dies nur dann Bestand haben, wenn die Demenz bei dem Erblasser eine mehr als sechsmonatige Veränderung im Aufassungsvermögen, der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses der Orientierung und der Lernfähigkeit ausgelöst hat (OLG Hamm, Beschluss vom 16.04.2014, 10 W 155/12).
In einem Erbscheinsverfahren muss das Gericht einem Sachverständigen von Amts wegen eine zuverlässige Grundlage für das zu erstattende Gutachten liefern.
Die Ermittlungen des Nachlassgerichts sind dabei so weit auszudehnen, „wie es die Sachlage erfordert, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für die zu treffende Entscheidung zu erlangen“ (BGHZ 185, 272 ff.).
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