Testament wirksam? Für die Testierfähigkeit reichen lichte Momente des Erblassers nicht aus!
OLG Frankfurt a.M. – Beschluss vom 17.08.2017 – 20 W 188/16
- Erblasserin leidet seit Jahren unter Wahnvorstellungen
- Brüderpaar gewinnt das Vertrauen der Erblasserin und wird im Testament als Erbe eingesetzt
- Nachlassgericht nimmt nur unvollständige Ermittlungen zur Frage der Testierunfähigkeit der Erblasserin vor
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte in einer Erbscheinsangelegenheit zu klären, ob das Testament einer hoch betagten Erblasserin, die offenbar unter Wahnvorstellungen litt, wirksam war.
Die Erblasserin war verwitwet und hatte keine Kinder. Nach übereinstimmenden und unstrittigen Zeugenaussagen litt die Erblasserin spätestens seit 2009 und bis zu ihrem Tod an einem krankhaften Verfolgungswahn.
Sie war überzeugt davon, dass sie von Einbrechern bedroht würde, die über ihr Dachgeschoss kämen oder in ihren Keller eindringen würden.
In Zusammenhang mit diesen Ängsten bekam die Erblasserin offensichtlich Kontakt zu einem Brüderpaar, das sie als "Kriminologen und Detektive" anheuerte.
Brüderpaar infiltriert das Leben der zukünftigen Erblasserin
Dieses Brüderpaar sorgte in der Folge dafür, dass das Wohnhaus der Erblasserin mit einer Vielzahl von Videokameras ausgestattet wurde. Diese Dienstleistung ließ sich das Brüderpaar mit einem Betrag in Höhe von 40.000 Euro von der Erblasserin entlohnen.
Am 29.11.2012 verfasste die Erblasserin ein privatschriftliches Testament. In diesem Testament setzte die Erblasserin mehrere untergeordnete Vermächtnisse zugunsten eines Neffen und zweier Freundinnen aus.
Weiter verfügte, dass der Löwenanteil an ihrem Vermögen, das von ihr bewohnte Hausgrundstück, je zur Hälfte an das Brüderpaar gehen soll, das sich der Erblasserin als "Kriminologe und Detektiv" angedient hatte.
Die Verwandtschaft soll nichts bekommen
Schließlich enthielt das Testament unter der Unterschrift der Erblasserin folgenden Zusatz:
"Mein letzter Wille! Die Verwandtschaft soll nichts mehr erhalten."
Nach dem Tod der Erblasserin beantragte das Brüderpaar "Kriminologe und Detektiv" beim Nachlassgericht die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der das Brüderpaar als Erben zu je ½ ausweisen sollte. Dieser Antrag wurde mit dem Inhalt des Testaments vom 29.11.2012 begründet.
Gesetzliche Erben widersprechen dem Erbscheinsantrag
Diesem Antrag widersprachen Verwandte und damit potentielle gesetzliche Erben der Erblasserin.
Sie verwiesen gegenüber dem Nachlassgericht darauf, dass die Erblasserin bereits Jahre vor der Errichtung des Testaments unter einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten habe und deswegen testierunfähig gewesen sei.
Das Nachlassgericht holte über die Frage der Testierfähigkeit ein Sachverständigengutachten ein. Der Gutachter kam zwar zu dem Ergebnis, dass die Erblasserin testierunfähig gewesen sei.
Gleichzeitig erklärte der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung jedoch, dass es möglich sei, dass die Erblasserin bei Abfassung des Testaments „einmal einen lichten Augenblick gehabt habe und klar erkannt habe, worum es gehe.“
Gutachter überzeugt das Nachlassgericht
Auf diese Aussage des Gutachters hin stellte das Nachlassgericht die Erteilung des von dem Brüderpaar beantragten Erbscheins in Aussicht.
Gegen diesen Beschluss legten die Verwandten der Erblasserin Beschwerde zum Oberlandesgericht ein.
Und das Oberlandesgericht kassierte tatsächlich den Beschluss des Nachlassgerichts und kritisierte die Vorgehensweise des Ausgangsgerichts mit ungewöhnlich deutlichen Worten.
In der Begründung seiner Entscheidung wies das OLG zunächst darauf hin, dass das Nachlassgericht seiner Aufklärungspflicht nicht ordentlich nachgekommen sei.
OLG kritisiert die Vorgehensweise des Nachlassgerichts
Testierunfähigkeit sei, so das OLG, auch dann anzunehmen, wenn jemand, „der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von möglichen Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln“ ein Testament verfasst.
Es gebe „auch keine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz.“
Hinsichtlich der bei der Erblasserin im zu entscheidenden Fall offensichtlich vorliegenden Wahnvorstellungen wies das OLG mit Hinweis auf einschlägige Fachliteratur darauf hin, dass bei solchen Wahnvorstellungen dann eine Testierunfähigkeit angenommen werden könne, wenn „eine krankheitsbedingte Abkoppelung von Erfahrung, Logik und (sub-) kulturellem Konsens sowie der Verlust der diesbezüglichen Kritik- und Urteilsfähigkeit vorliegen, dem Betroffenen also ein vernünftiges Abwägen nicht mehr möglich und er logischen Argumenten nicht mehr zugänglich ist.“
Gericht muss sich Klarheit über den medizinischen Befund des Erblassers verschaffen
Ein Nachlassgericht müsse in Fällen wie dem vorliegenden die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des betroffenen Erblassers aufklären und sich sodann Klarheit über den medizinischen Befund verschaffen.
Basierend auf diesen Feststellungen habe das Gericht über die Frage der Testierunfähigkeit zu entscheiden.
Die Vorgehensweise des Nachlassgerichts, den Erbscheinsantrag alleine mit Hinweis auf mögliche „lichte Momente“ der Erblasserin durchzuwinken, sei, so das OLG, jedenfalls nicht akzeptabel.
Es sei bereits nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage der Sachverständige zu dieser Erkenntnis gekommen sei.
Sobald nämlich, wofür im vorliegenden Fall nach Überzeugung des OLG deutliche Hinweise vorlagen, beim Erblasser „chronische psychopathologische Symptome bzw. Syndrome belegt seien, die Testierunfähigkeit bedingten, so seien kurzfristige (Stunden, Tage dauernde) "luzide Intervalle" mit Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit praktisch ausgeschlossen und als ernsthafte Möglichkeit im Sinne der Rechtsprechung nicht in Betracht zu ziehen.“
Die Angelegenheit wurde mithin vom OLG zum Nachlassgericht zurückverwiesen, um dem Nachlassgericht die Möglichkeit zu geben, das konkrete Krankheitsbild der Erblasserin zu ermitteln und daraus Rückschlüsse auf die Testierfähigkeit der Erblasserin zu ziehen.
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