Verzicht auf den Pflichtteil nach dem Erbfall – Welche Erklärung muss der Pflichtteilsberechtigte abgeben?
BGH – Beschluss vom 07.11.2018 – IV ZR 189/17
- Mutter erklärt nach Tod der Tochter, „nichts haben zu wollen“
- Mutter klagt gegen den Erben ihren Pflichtteil ein
- Erbe wendet ein, die Mutter habe auf den Pflichtteil verzichtet
Der Bundesgerichtshof hatte über die Frage zu befinden, unter welchen Umständen man annehmen kann, dass ein Pflichtteilsberechtigter nach dem Eintritt des Erbfalls auf seinen Pflichtteil verzichtet hat.
In der Angelegenheit war die Erblasserin am 21.04.2015 kinderlos verstorben. Alleiniger Erbe war kraft Testament der Lebensgefährte der Erblasserin geworden.
Die Erblasserin ahnte offenbar bereits zu Lebzeiten, dass ihr Erbfall nicht ganz konfliktfrei ablaufen wird. Sie war nämlich noch zu Lebzeiten an Ihre Mutter herangetreten und hatte ihrer Mutter vorgeschlagen, dass die Mutter einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag unterschreiben soll.
Zu dem Abschluss eines solchen Verzichtsvertrages kam es dann aber vor dem Eintritt des Erbfalls nicht mehr.
Mutter klagt vor dem Landgericht ihren Pflichtteil ein
Es kam wie es kommen musste: Die Mutter der Erblasserin machte nach dem Eintritt des Erbfalls gegenüber dem Lebensgefährten und Alleinerben ihrer Tochter den Pflichtteil geltend.
Nachdem man sich außergerichtlich nicht einigen konnte, erhob die Mutter der Erblasserin gegen den Lebensgefährten der Erblasserin Klage auf Zahlung von 100.000 Euro.
Der beklagte Lebensgefährte verteidigte sich vor Gericht gegen diese Forderung mit dem Vortrag, dass die Mutter der Erblasserin anlässlich eines Telefonates, das drei Tage nach dem Tod der Erblasserin geführt wurde, sowie nochmals am Tag der Beerdigung auf ihren Pflichtteil verzichtet habe.
Das fragliche Telefonat am 22.04.2015 hätten, so der Vortrag des Lebensgefährten, mit Einwilligung der Mutter der Erblasserin zwei Zeugen mitgehört.
In erster Instanz hat das Landgericht die Klage der Mutter auf ihren Pflichtteil abgewiesen. Das Landgericht sah es nach Vernehmung der Zeugen als erwiesen an, dass die Mutter gegenüber dem Erben wirksam auf ihren Pflichtteil verzichtet habe.
OLG: Mutter hat nicht auf ihren Pflichtteil verzichtet
Die Mutter der Erblasserin ging daraufhin in Berufung zum Oberlandesgericht. Und tatsächlich drehte das OLG das Urteil und gab der Berufung statt.
Ohne die entscheidenden Zeugen erneut zu vernehmen, unterstellte das OLG die Aussagen der Zeugen, wonach die Mutter der Erblasserin geäußert habe, „nichts haben“ zu wollen von dem Vermögen, dass sich die Erblasserin „erarbeitet“ habe, als wahr.
Diese Aussagen der Klägerin könnten aber nicht im Sinne einer umfassenden Verzichts verstanden werden. Dafür spreche auch, dass der Beklagte vor dem OLG von einer Aussage der Klägerin berichtet habe, wonach man sich schon einigen werde.
Weiter ließ das OLG in seiner Wertung einfließen, dass sich die Mutter der Erblasserin zu Lebzeiten ihrer Tochter ausdrücklich geweigert habe, den ihr angetragenen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag zu unterzeichnen.
BGH hebt das Urteil des OLG auf
Der Lebensgefährte wollte dieses Urteil des OLG aber nicht hinnehmen und beantragte beim Bundesgerichtshof, dass eine Revision beim BGH gegen das Urteil des OLG zugelassen wird.
Tatsächlich hatte der Beklagte mit diesem Antrag auch Erfolg. Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies die Angelegenheit zurück zum OLG.
Der BGH monierte in seiner Entscheidung, dass das OLG dadurch, dass es die Zeugen im Berufungsverfahren nicht nochmals angehört hatte, den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe.
OLG hätte Zeugen nochmals anhören müssen
Das Berufungsgericht sei nämlich, so der BGH, immer dann verpflichtet einen in erster Instanz gehörten Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es die Glaubwürdigkeit des Zeugen anders als das Ausgangsgericht beurteilt und die Aussage des Zeugen anders würdigen will.
Insbesondere hätte das Berufungsgericht durch eine erneute Zeugeneinvernahme klären müssen, ob sich die maßgebliche Aussage der klagenden Mutter nur auf „erarbeitete“ Vermögensgegenstände der Erblasserin oder auf das Vermögen insgesamt bezogen hat.
Im Ergebnis musste sich das OLG ein zweites Mal mit der Angelegenheit beschäftigen.
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