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Entziehung des Pflichtteils kommt nach einer Verzeihung durch den Erblasser nicht mehr in Frage

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Nürnberg – Beschluss vom 08.05.2012 – 12 U 2016/11

  • Vater entzieht seinem Sohn in einem Testament den Pflichtteil
  • Nach dem Tod des Vaters klagt der Sohn trotzdem seinen Pflichtteil ein
  • Gerichte stellen fest, dass der Vater seinem Sohn verziehen hatte

Das Oberlandesgericht hatte in einem Berufungsverfahren darüber zu befinden, ob einem Pflichtteilsberechtigten seine Ansprüche wirksam von seinem Vater, dem Erblasser, entzogen worden waren.

Der unverheiratete Erblasser war in der Angelegenheit am 18.06.2010 verstorben. Nur zwei Monate vor seinem Ableben hatte der Erblasser ein notarielles Testament errichtet.

In diesem Testament hatte er die spätere Beklagte als Alleinerbin eingesetzt und gleichzeitig seinem einzigen noch lebenden Sohn nicht nur enterbt, sondern gleichzeitig angeordnet, dass dem Sohn auch der Pflichtteil als gesetzliche Mindestbeteiligung am Nachlass entzogen werden soll.

Vater verweist auf von seinem Sohn begangene Straftaten

Zur Begründung der Pflichtteilsentziehung hatte der Erblasser in seinem Testament auf diverse von seinem Sohn begangene Straftaten und daraufhin gegen den Sohn verhängte Haftstrafen verwiesen.

Der Nachlasswert betrug geschätzte 200.000 Euro und der Sohn wollte seinen vollständigen Ausschluss von dieser Erbschaft nicht akzeptieren. Er nahm daher die Alleinerbin vor dem Landgericht klageweise in Anspruch, verlangte von ihr Auskunft über den genauen Bestand des Nachlasses und bezifferte seinen Pflichtteilsanspruch auf einen Betrag in Höhe von mindestens 100.000 Euro.

Zur Begründung seiner Forderung führte der klagende Sohn an, dass die Voraussetzungen für einen Entzug des Pflichtteils nicht vorliegen würden, nachdem ihm sein Vater in der Vergangenheit seine Taten verziehen habe, § 2337 BGB.

Hat der Vater seinem Sohn verziehen?

Die beklagte Alleinerbin hielt dagegen und trug vor, dass eine Verzeihung der Straftaten des Sohnes durch den Vater alleine deswegen vorliegend nicht gegeben seien, nachdem der Vater nur zwei Monate vor seinem Ableben in dem notariellen Testament ausdrücklich und unter Bezugnahme auf die Straftaten des Sohnes den Entzug des Pflichtteils angeordnet hätte.

Das Landgericht folgte der Argumentation des Sohnes und verurteilte die Alleinerbin zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 99.750 Euro. Gegen diese Verurteilung legte die Alleinerbin Berufung zum OLG ein.

Doch auch das Oberlandesgericht hielt den vom Erblasser in dem Testament angeordneten Pflichtteilsentzug für unwirksam. Nach einem entsprechenden Hinweis des OLG nahm die Beklagte daher die Berufung zurück.

Seinen Hinweis an die beklagte Berufungsführerin begründete das OLG mit folgenden Erwägungen:

Waren die Gründe zur Entziehung des Pflichtteils konkret genug angegeben?

Das OLG zog bereits in Zweifel, ob die in Frage kommenden Pflichtteilsentziehungsgründe („ehrloser und unsittlicher Lebenswandel“, „rechtskräftige Verurteilung wegen Straftat“) zum entscheidenden Zeitpunkt der Testamentserrichtung überhaupt noch Bestand hatten bzw. ob die Entziehungsgründe in dem Testament hinreichend konkret angegeben waren.

Jedenfalls ging das OLG aber davon aus, dass das Recht des Erblassers, seinem Sohn den Pflichtteil zu entziehen, durch eine Verzeihung im Sinne des § 2337 BGB noch vor der Testamentserrichtung im April 2010 erloschen sei.

Eine Verzeihung, so das Gericht, sei kein offiziell zu erklärender Akt, sondern liege immer dann vor, wenn der Erblasser zum Ausdruck bringt, „dass er die durch den jeweiligen Pflichtteilsentziehungsgrund hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfindet“.

Die zeitliche Nähe der Errichtung des notariellen Testaments und dem dort angeordneten Pflichtteilsentzug zu dem Ableben des Erblassers sei zwar ein deutliches Indiz dafür, dass der Erblasser durch die Taten seines Sohnes bis zuletzt gekränkt gewesen sei.

Reger Briefwechsel zwischen Vater und Sohn

Der Sohn konnte jedoch genügend Hinweise für seinen Vortrag vorbringen, wonach ihm sein Vater bereits zu einem früheren Zeitpunkt seine Missetaten verziehen habe. So hatte der Vater mit seinem Sohn auch während dessen Inhaftierung einen regen Briefwechsel geführt.

Weiter hatten sich Vater und Sohn wiederholt gegenseitig während jeweiliger Krankenhausaufenthalte besucht und schließlich konnte der Sohn eine Zeugin dafür aufbieten, dass sein Vater ihn in einem früheren Testament Vermögen hätte zukommen lassen wollen.

In der Gesamtschau ging das OLG daher davon aus, dass der Vater seinem Sohn seine Straftaten bereits verziehen hatte. Liegt aber eine Verzeihung im Sinne von § 2337 BGB vor, kann eine erneutes Recht auf den kompletten Entzug des Pflichtteils nicht mehr wieder aufleben.

Dem Sohn stand demnach als potentiellen gesetzlichen Alleinerben ein Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Nachlasswertes gegen die im Testament benannte Erbin zu.

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