Der Staat als vermeintlicher Erbe muss an den wahren Erben Nutzungsersatz und Zinsen bezahlen
LG Münster – Urteil vom 20.11.2017 – 011 O 316/14
- Staat erhält im Jahr 1984 Erbschaft in Höhe von über 70.000 Euro
- 30 Jahre später fordern die wahren Erben die Erbschaft nebst Zinsen in Höhe von 130.000 Euro
- Der von den Erben geltend gemachte Zinsanspruch ist nur zum Teil begründet
Das Landgericht Münster hatte die Frage zu beantworten ob und in welcher Höhe der Staat an einen wahren Erben Nutzungsersatz und Zinsen bezahlen muss, wenn der Staat den Nachlass irrtümlich als so genannter Fiskalerbe an sich genommen hatte.
Der der Angelegenheit zugrunde liegende Erbfall ereignete sich bereits im Jahr 1984. Zum Zeitpunkt des Erbfalls konnten weder testamentarische noch gesetzliche Erben ermittelt werden, sodass nach § 1936 BGB der Staat als Erbe eintrat.
Der Nachlass war werthaltig und das zuständige Land Nordrhein-Westfalen erhielt als vermeintlicher Erbe einen Betrag in Höhe von 71.848,63 Euro.
Die wahren Erben fordern die Erbschaft nebst Zinsen
Dreißig Jahre später tauchten die tatsächlichen Erben auf und forderten das Land Nordrhein-Westfalen auf, die zu Unrecht vereinnahmte Erbschaft nebst in der Zwischenzeit aus der Erbschaft gezogener Nutzungen in Form von Zinsen herauszugeben.
Das Land gab den Erben daraufhin einen Betrag in Höhe von 71.51,53 Euro heraus, weigerte sich aber, an die Erben für die vergangenen 30 Jahre Zinsen zu bezahlen.
Die Erben zogen daraufhin vor Gericht und verlangten vom beklagten Land Nutzungsersatz in Höhe von 130.000 Euro.
Die klagenden Erben wollten das beklagte Land Nordrhein-Westfalen dabei mit seinen eigenen Waffen schlagen und trugen vor Gericht vor, dass der vom Land zu zahlende Zinssatz in Anlehnung an die gesetzliche Regelung für die Verzinsung von Steuernachforderungen in § 238 AO in Höhe von 6% p.a. zu ermitteln sei.
Ist ein Zinssatz von 6% p.a. gerechtfertigt?
Diesen Zinssatz zugrunde gelegt ermittelten die klagenden Erben für einen Zeitraum von 1984 bis 2014 die Klagesumme in Höhe von 130.000 Euro.
Das beklagte Land hielt vor Gericht ersichtlich wenig von der Forderung der Erben. Es ließ seine Anwälte vortragen, dass überhaupt kein Nutzungsersatz geschuldet sei, da die im Jahr 1984 vereinnahmten Mittel in den Haushalt eingestellt und verbraucht worden seien.
Das Land sei insoweit entreichert und der Zinsanspruch der Erben sei darüber hinaus sowieso verjährt.
Sollte aber ein Zinsanspruch der Erben bestehen, so richte sich dieser nicht nach § 238 AO, sondern müsse sich am so genannten ENOIA- Zinssatz (Euro OverNight Index Average) orientieren.
Gericht weist die Klage der Erben weitgehend ab
Die Klage der Erben wurde vom Landgericht zum weit überwiegenden Teil als unbegründet abgewiesen.
Das Landgericht stellte zwar in der Begründung seiner Entscheidung fest, dass den Erben gegen das Land Nordrhein-Westfalen als Erbschaftsbesitzer neben dem Anspruch auf Herausgabe des Nachlasses auch ein Zinsanspruch zusteht.
Auch sei der Einwand der Entreicherung des beklagten Landes nicht begründet. Das Land Nordrhein-Westfalen sei nämlich, so das Gericht, im fraglichen Zeitraum durchgängig verschuldet gewesen und hätte in Höhe des vereinnahmten Erbschaftsbetrages einen Kredit aufnehmen müssen und für diesen Kredit Zinsen bezahlen müssen.
Zinsforderung ist zum überwiegenden Teil verjährt
Der Einwand der Verjährung, den das beklagte Land erhoben hatte, sei aber zumindest zum Teil gerechtfertigt. Mit Hinweis auf ein Urteil des BGH (BGH, Urteil vom 14.10.2015, IV ZR 438/14) vertrat das Landgericht die Auffassung, dass nur noch Zinsansprüche in der Zeit vom 28.10.2004 bis zum 07.10.2014 unverjährt und durchsetzbar seien.
In Bezug auf die Höhe des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs schätzte das Landgericht den geschuldeten Zinssatz gem. § 287 ZPO und in Anlehnung an den ENOIA- Zinssatz auf 1,55% p.a.
Dieser niedrigere Zinssatz würde die vom Land erzielten Nutzungsvorteile wesentlich realistischer wiedergeben als der – höhere – Zinssatz nach § 238 AO.
Das Urteil ist rechtkräftig, nachdem die Erben eine zwischenzeitlich eingelegte Berufung zum OLG zurückgenommen haben.
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