Mord oder natürlicher Tod? Gericht muss allen Hinweisen nachgehen

Von: Dr. Georg Weißenfels

BGH – Beschluss vom 12.09.2012 – IV ZR 177/11

Der Bundesgerichtshof hatte zu beurteilen, ob das Kammergericht Berlin in einer erbrechtlichen Angelegenheit seiner Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des von den Klägerinnen vorgetragenen Sachverhalts nachgekommen war. Im Ergebnis verneinte das oberste deutsche Zivilgericht diese Frage, gab einer von den Klägerinnen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde statt, hob das Urteil aus der zweiten Instanz auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Kammergericht zurück.

Der der Angelegenheit zugrunde liegende Sachverhalt hatte Anleihen bei einem Kriminalroman und war auch tatsächlich bereits Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gewesen.

Der sehr vermögende Erblasser war seit seiner Geburt gesundheitlich massiv beeinträchtigt. Er litt an einem offenen Rücken und hatte einen Wasserkopf. Er war gleichzeitig Diabetiker und hatte seit etwa 1990 ein massives Alkoholproblem.

Der Erblasser hatte bis Ende des Jahres 2001 gemeinsam mit seiner Schwester bei seiner Mutter gewohnt. Im Jahr 1996 hatte der Erblasser in einem in dem Gerichtsurteil so bezeichneten „Etablissement“ eine Dame kennen gelernt. Die Dame arbeitete in dem Etablissement auf Teilzeitbasis.

Am 04.09.2000 suchte der Erblasser gemeinsam mit seiner Bekanntschaft einen Notar auf und setzte die Dame in einem Erbvertrag als Alleinerbin ein. Eine Gegenleistung der Dame wurde in dem Erbvertrag nicht vereinbart. Dieser Erbvertrag wurde in der Folge vom Erblasser zwar im Januar 2001 angefochten, dies hinderte den Erblasser aber nicht daran im Dezember 2001 bei seiner Mutter aus- und bei seiner Bekanntschaft einzuziehen. In der Wohnung der Bekanntschaft wohnten zu diesem Zeitpunkt auch noch deren Ehemann und der Sohn der Dame.

Nach Einzug in die Wohnung der Dame wurde diese in einem weiteren notariellen Erbvertrag vom 17.12.2001 wurde vom Erblasser wiederum als Alleinerbin eingesetzt – wieder wurde keine Gegenleistung vereinbart.

Am 18.05.2003 verstarb dann der Erblasser in der Wohnung seiner Bekanntschaft unter eher mysteriösen Umständen.

Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Mordverdacht gegen die Bekannte des Erblassers wurde nach umfangreichen Ermittlungen und der Einholung mehrerer Gutachten von der Staatsanwaltschaft in Ermangelung eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Nach dem Tod ihres Sohnes und Bruders fochten die Mutter und die Schwester des Erblassers den Erbvertrag vom Dezember 2001 an. Weiter zogen die beiden mit dem Ziel vor Gericht, der Bekannten ihres Sohnes und Bruders ihr Erbrecht streitig zu machen. Die Bekannte wiederum erhob Widerklage und beantragte, das Gericht möge ihr Erbrecht ausdrücklich feststellen.

Die Klage von Mutter und Tochter wurden in erster und zweiter Instanz abgewiesen, mithin das Erbrecht der Bekannten aus dem Erbvertrag vom Dezember 2001 bestätigt.

Mutter und Tochter zogen jedoch vor den Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz und konnten dort zumindest erreichen, dass das Berufungsurteil des Kammergerichts mit sehr deutlichen Worten aufgehoben wurde.

In der Begründung der Revisionsentscheidung stellte der BGH zunächst fest, dass Mutter und Tochter vor Gericht in einem Verfahren gleichzeitig die Anfechtung des Erbvertrages nach den §§ 2077, 2078 BGB und die Feststellung der Erbunwürdigkeit der Bekannten des Erblassers nach § 2339 BGB betreiben könnten. Beide Einwendungen gegen das Erbrecht der Bekannten des Erblassers würden sich nicht ausschließen.

Weiter kritisierte der BGH die Feststellung des Kammergerichts, wonach die Klage deswegen abweisungsreif sei, da die von Mutter und Tochter vorgetragenen Erbunwürdigkeitsgründe nicht festgestellt werden könnten.

Tatsächlich hatten Mutter und Schwester als Klägerinnen dezidiert vorgetragen, dass sich die Bekannte des Erblassers gemeinsam mit ihrem Ehemann am vermeintlichen Tattag ein Alibi verschafft habe und der Erblasser an diesem Tag so großzügig mit Alkohol versorgt wurde, dass dieser gegen Mittag volltrunken, nicht mehr ansprechbar und in seiner Atmungsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen sei. Nach Vortrag der Klägerinnen sei der Erblasser bewusst in einen Zustand versetzt worden, in dem ein „Bedecken der Atmungsorgane für eine Beendigung der Atemtätigkeit“ hätte sorgen können. Dies alles sei nach dem Vortrag der Klägerinnen von der beklagten Bekanntschaft ihres Mannes auch so geplant und initiiert worden, um am Ende an das Erbe zu kommen.

Zu diesem Tatvortrag wurde vom Berufungsgericht jedoch kein Beweis erhoben. Damit habe das Berufungsgericht, so der BGH, gegen den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen.

Eine Vernehmung der von den Klägerinnen für den Tathergang angebotenen Zeugen sei, so der BGH, weder untauglich noch können sich das Zivilgericht hinter die Auffassung zurückziehen, dass die Zeugen schließlich bereits im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – erfolglos – vernommen worden seien.

Nach den Feststellungen der bereits vorliegenden Gutachten, so der BGH, könne keinesfalls ausgeschlossen werden, dass der Erblasser eines gewaltsamen Todes durch Ersticken gestorben ist. Auch dieser Frage müsse das Berufungsgericht gegebenenfalls durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens oder zumindest durch Einvernahme der bereits im Strafverfahren aktiven Gutachter nachgehen.

Mutter und Schwester konnten also nach dem Urteil des BGH vor dem Kammergericht einen weiteren Anlauf unternehmen, um das Erbrecht der Bekannten des Erblassers zu Fall zu bringen.

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