Erblasser verstirbt in einem Pflegeheim in Polen – Der Erbschein kann von der Erbin in Deutschland beantragt werden!
OLG Karlsruhe – Beschluss vom 22.07.2024 – 14 W 50/24 (Wx)
- Erblasser wird aus finanziellen Gründen in ein polnisches Pflegeheim gebracht
- Nach dem Tod des Erblasser in Polen verneint ein deutsches Nachlassgericht seine Zuständigkeit
- OLG hebt die Entscheidung des Nachlassgerichts auf
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein deutsches Nachlassgericht für den Nachlass eines Erblassers, der in einem Pflegeheim in Polen verstarb, zuständig ist.
Ein deutscher Staatsbürger, im Jahr 1955 geboren, war im Oktober 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben.
Bei dem Erblasser war im Jahr 2022 eine zunehmende Demenz festgestellt worden.
Erblasser wird gegen seinen Willen nach Polen gebracht
In das polnische Pflegeheim war der Erblasser im April 2023 von seiner Ehefrau gegen bzw. ohne seinen Willen gebracht worden, nachdem eine häusliche Pflege von seiner Ehefrau in Deutschland nicht mehr darstellbar war.
Die Pflege des Erblassers in einem deutschen Pflegeheim war aufgrund seiner beschränkten finanziellen Mittel nicht möglich.
Sein gesamtes Vermögen sowie seine ganzen sozialen Kontakte hatte der Erblasser in Deutschland. Der Erblasser war auch nicht der polnischen Sprache mächtig.
Ehefrau beantragt in Deutschland einen Erbschein
Im März 2024 stellte die Ehefrau des Erblassers bei einem in Deutschland gelegenen Nachlassgericht einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der die Ehefrau als alleinige Erbin ihres verstorbenen Ehemannes ausweisen sollte.
Das Nachlassgericht verneinte aber mit Hinweis auf Art. 4 EuErbVO seine Zuständigkeit für die Angelegenheit und lehnte den Erbscheinsantrag ab.
Artikel 4
Allgemeine Zuständigkeit
Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Das Nachlassgericht begründete seine Entscheidung mit der Erwägung, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen gehabt habe und ein deutsches Nachlassgericht für den Fall daher international nicht zuständig sei.
Ehefrau legt Beschwerde zum Oberlandesgericht ein
Gegen diese Entscheidung des Nachlassgerichts legte die betroffene Ehefrau Beschwerde zum Oberlandesgericht ein.
Das OLG gab der Beschwerde statt und hob die Entscheidung des Nachlassgerichts auf.
Das OLG urteilte, dass in dem Fall die deutsche Gerichtsbarkeit nach Art. 4 EuErbVO für die Erteilung des Erbscheins international zuständig sei, da der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne dieser Norm in Deutschland gehabt habe.
OLG: Der Erblasser hatte in Polen keinen Bleibewillen
Das OLG wies darauf in der Begründung seiner Entscheidung darauf hin, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in Art. 4 EuErbVO „anhand einer Gesamtbeurteilung der Umstände des Einzelfalls“ sei.
Zu berücksichtigen sei die
„Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts, Umstände und Gründe für die Präsenz im betreffenden Staat, der Wille des Erblassers, in dem Staat den ständigen und gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen zu begründen, familiäre und soziale Bindungen, die Belegenheit der wesentlichen Vermögensgegenstände im Staat sowie die Sprachkenntnisse des Erblassers.“
Wenn pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht werden, so komme es jedenfalls grundsätzlich auf Bleibewillen der betroffenen Person an.
Soweit die betroffene Person ohne oder gegen ihren Willen in einem ausländischen Pflegeheim untergebracht werde, so fehle es an einem entsprechenden Bleibewillen.
Das deutsche Nachlassgericht ist für den Erbschein zuständig
Dem Erblasser sprachen die Richter diesen erforderlichen Bleibewillen ab.
Der Betroffene sei deutscher Staatsbürger, habe sein ganzes Leben in Deutschland verbracht und sei alleine aus finanziellen Gründen nach Polen gebracht worden.
Mangels persönlichem Bezug zu Polen habe der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland nie aufgegeben.
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