Muss ein Erbschaftsprozess so lange ausgesetzt werden, bis ein Streit über den Erbschein beigelegt ist?
OLG Rostock – Beschluss vom 30.03.2023 – 3 W 30/23
- Erben streiten vor Gericht in zwei Verfahren gleichzeitig um einen Erbschein und um Geld
- Gericht will das Verfahren aussetzen, bis der Streit um den Erbschein geklärt ist
- Eine vom Gericht erklärte Aussetzung des Verfahrens ist unzulässig
Das Oberlandesgericht Rostock hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Gerichtsprozess zwischen Erben ausgesetzt werden muss, wenn zwischen den Beteiligten gleichzeitig vor Gericht um einen Erbschein gestritten wird.
In der Angelegenheit war die Erblasserin, Mutter von zwei Töchtern und eines Sohnes, am 21.01.2022 verstorben.
Die Erblasserin hatte am 02.04.2019 ein notarielles Testament errichtet.
Erblasserin setzt ihre Töchter als Erben ein
In diesem Testament hatte die Erblasserin sämtliche vorangegangenen Testamente widerrufen und ihre Tochter A zu 2/3 und ihre Tochter B zu 1/3 als Erben eingesetzt.
Die Tochter A beantragte nach dem Ableben ihrer Mutter einen Erbschein, der sie und ihre Schwester als Erben ihrer Mutter ausweisen sollte.
Diesem Erbscheinsantrag trat aber der Sohn der Erblasserin entgegen.
Er verwies auf ein älteres handschriftliches Testament der Erblasserin vom 18.12.2012, in dem der Sohn als alleiniger Erbe eingesetzt worden war.
Sohn der Erblasserin bestreitet die Testierfähigkeit der Erblasserin
Das notarielle Testament der Erblasserin aus dem Jahr 2019 sei, so der Vortrag des Sohnes, unwirksam, da die Erblasserin im Jahr 2019 testierunfähig gewesen sei.
Unabhängig von dem Streit um den Erbschein reichte die Tochter A gegen ihren Bruder eine Klage vor dem Landgericht ein und machte gegen ihren Bruder mit dieser Klage einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 41.800 Euro an die Erbengemeinschaft geltend.
Der Zahlungsanspruch resultierte aus einem Darlehen, das die Erblasserin ihrem Sohn zu Lebzeiten gewährt hatte.
Landgericht setzt den Erbschaftsprozess aus
Das Landgericht teilte den Beteiligten in dem Zahlungsprozess mit, dass dieser Prozess so lange ausgesetzt werden müsse, bis der Streit um den Erbschein und die Wirksamkeit des notariellen Testaments vor dem Nachlassgericht geklärt sei.
Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die durch den Erbschein zu klärende Frage, wer Erbe geworden ist, für das Klageverfahren vor dem Landgericht vorgreiflich sei.
Auch sei eine doppelte Beweisaufnahme sowohl im Nachlassverfahren als auch im Zahlungsprozess vor dem Landgericht nicht sinnvoll.
Mit Beschluss vom 20.02.2023 setzte das Landgericht den Erbrechtsprozess dann bis zur Entscheidung im Erbscheinsverfahren aus.
Tochter der Erblasserin legt Beschwerde ein
Gegen diesen Beschluss legte die Klägerin am 06.03.2023 Beschwerde zu Oberlandesgericht ein.
Das OLG gab der Beschwerde statt und entschied, dass es unzulässig sei, einen zivilrechtlichen Erbschaftsprozess bis zur einer Entscheidung in einem gleichzeitig betriebenen Erbscheinsverfahren auszusetzen.
Zur Begründung seiner Entscheidung wies das OLG darauf hin, dass ein Erbscheinsverfahren für einen gleichzeitigen Erbschaftsprozess nicht vorgreiflich sei.
Vielmehr sei das Gericht in einem Erbschaftsprozess nicht an das Ergebnis im Erbscheinverfahren gebunden, sondern könne hinsichtlich der Frage der Erbfolge auch zu einem abweichenden Ergebnis kommen.
Nachlassgericht kann die Beweise des Landgerichts nutzen
Auch die Erwägung des Landgerichts, eine doppelte Beweiserhebung zu vermeiden, rechtfertige nicht die Aussetzung des Prozesses.
Vielmehr könne ja das Nachlassgericht im Erbscheinverfahren auf die Beweismittel zugreifen, die im Erbschaftsprozess erhoben worden sind.
Im Ergebnis musste das Landgericht den Erbschaftsprozess rund um die von der Klägerin geltend gemachte Darlehensforderung fortsetzen.
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