Vor- und Nacherbfolge oder Nießbrauch? Bei Unklarheiten muss das Testament ausgelegt werden!
- Erblasser ordnet Nutzungsrecht zugunsten einer Person an
- Hinter dem Nutzungsrecht kann sich eine Vor- und Nacherbschaft oder ein Nießbrauchsvermächtnis verbergen
- Der Wille des Erblassers ist durch eine Auslegung des Testaments zu ermitteln
Privat und ohne fachkundige Hilfe erstellte Testamente sind häufig unklar formuliert.
So kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass der Erblasser eine ihm nahe stehende Person nach dem Eintritt des Erbfalls finanziell versorgen will und dieser Person vor diesem Hintergrund zum Teil umfangreiche Nutzungsrechte an seinem Vermögen zuwendet.
Das Motiv einer solchen Anordnung, nämlich die Versorgung einer bestimmten Person, geht dabei oft mit hinreichender Klarheit aus dem Testament hervor.
Das Testament beantwortet aber häufig nicht die Frage, welche rechtliche Stellung die mit dem Nutzungsrecht bedachte Person eigentlich haben soll.
Nießbrauchsrecht oder Stellung als Vorerbe?
In Frage kommt dabei nämlich sowohl die Anordnung einer so genannten Vor- und Nacherbschaft durch den Erblasser als auch die Zuwendung eines Nießbrauchvermächtnisses.
Beide Rechtskonstruktionen führen dazu, dass der Begünstigte von dem Nachlass profitiert. Die Rechtsstellung eines Vorerben ist aber trotzdem eine ganz andere als die derjenigen Person, zu dessen Gunsten ein Nießbrauchsvermächtnis ausgesetzt wurde.
Bei der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nach §§ 2100 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) setzt der Erblasser in seinem Testament zunächst einen so genannten Vorerben ein und bestimmt gleichzeitig einen so genannten Nacherben.
Zunächst fällt das Vermögen des Erblassers mit dem Erbfall an den Vorerben. Dieser wird neuer Eigentümer des Erblasservermögens und ist vollwertiger Erbe. Gleichzeitig ist aber mit der Bestimmung eines Nacherben klar, dass das Erblasservermögen nicht auf Dauer beim Vorerben verbleibt. Spätestens mit dem Ableben des Vorerben geht das Vermögen des ursprünglichen Erblassers auf den Nacherben über.
Im Ergebnis kann der Vorerbe das ihm hinterlassene Vermögen lediglich nutzen. Er kann es aber beispielsweise nicht selbstständig vererben.
Wirtschaftliche Stellung des Vorerben und des Nießbrauchberechtigten sind vergleichbar
Eine ähnliche Rechtsfolge erzielt der Erblasser, wenn er in seinem Testament zugunsten des Betroffenen ein Nießbrauchvermächtnis anordnet. Hier wird der Begünstigte allerdings zu keinem Zeitpunkt Erbe. Er hat lediglich ein umfassendes Nutzungsrecht an dem Nachlass bzw. an einzelnen Nachlassgegenständen. Neuer Eigentümer des Nachlasses wird mit dem Erbfall hingegen der vom Erblasser eingesetzte Erbe.
Hat sich Erblasser in seinem Testament nicht klar ausgedrückt, ob die Versorgung einer Person mittels Vor- und Nacherbschaft oder durch ein Nießbrauchvermächtnis gewährleistet werden soll, dann ist das Testament auszulegen.
Es ist zu ermitteln, welche Stellung der Erblasser dem Betroffenen verschaffen wollte.
Verwendung bestimmter Begriffe im Testament im Zweifel nicht entscheidend
Dabei kommt es nicht unbedingt entscheidend auf die Verwendung der Begriffe „Vorerbe“ oder „Nießbrauchsnehmer“ an.
Vielmehr wird man immer dann zu einer Rechtstellung des Betroffenen als Vorerbe kommen, wenn Indizien dafür vorliegen, dass der Erblasser dem Betroffenen neben dem Nutzungsrecht auch die (vorübergehende) Stellung als Eigentümer des Nachlasses verschaffen wollte. Soweit der Erblasser dem Betroffenen eine gewisse Eigenverantwortlichkeit in Bezug auf den Nachlass verschaffen wollte, spricht viel für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft.
Hat der Erblasser in seinem Testament hingegen angeordnet, dass der Betroffene nicht zur Veräußerung einzelner Nachlassgegenstände berechtigt sein soll, wäre dies tendenziell eher ein Zeichen für die Aussetzung eines Nießbrauchsvermächtnisses.
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