Ist der Vorerbe von Beschränkungen befreit oder nicht?
- Ist die Befreiung des Vorerben von den Beschränkungen nicht klar, muss das Testament ausgelegt werden
- Die individuelle Auslegung eines Testaments ist immer vorrangig
- Im Zweifel können gesetzliche Auslegungsregeln weiterhelfen
Durch die Anordnung einer so genannten Vor- und Nacherbschaft in seinem Testament kann der Erblasser den Hinterbliebenen eine Menge rechtlichen Klärungsbedarf verschaffen.
Grundsätzlich ist eine Vor- und Nacherbschaft nach §§ 2100 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) eine durchaus sinnvolle Einrichtung.
Der Erblasser hat nämlich durch die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft die Möglichkeit, sein Vermögen mehreren Erbengenerationen zu vermachen.
Hat der Erblasser in seinem Testament einen Vor- und einen Nacherben benannt, dann erhält im Erbfall zunächst der so genannte Vorerbe das komplette Vermögen des Erblassers. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, meist mit dem Ableben des Vorerben, geht das Erblasservermögen dann auf den so genannten Nacherben über.
Vor- und Nacherbschaft kann Erbfolge in der Familie steuern
Wenn der Erblasser also beispielsweise zunächst seine Ehefrau – als Vorerbin – wirtschaftlich absichern und am Ende sein Vermögen an seine Kinder – als Nacherben – geben will, dann kann die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft eine vernünftige Idee sein.
Erblasser, die mit dem Gedanken spielen, in ihrem letzten Willen eine solche Vor- und Nacherbschaft anzuordnen sollten sich über die Rechtsfolgen einer solchen Entscheidung aber vorab ausführlich informieren.
Tatsächlich bringt die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft sowohl für den Vor- als auch für den Nacherben nämlich nachhaltige Einschränkungen in ihren Rechten mit sich.
Zwar sind sowohl der Vor- als auch der Nacherbe vollwertige Erben. Jedoch ist der Vorerbe in seiner Verfügungsmacht über den geerbten Nachlass kraft Gesetz massiv eingeschränkt.
Vorerbe darf nicht über Immobilien verfügen
So ist es dem Vorerben beispielsweise zum Schutz der Interessen des Nacherben verwehrt, über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen, § 2113 Abs. 1 BGB.
Hat der Vorerbe also beispielsweise während der Dauer dringenden Geldbedarf, weil er zum Beispiel selber pflegebedürftig wird, dann ist es ihm von Gesetzes wegen verwehrt, eine zum Nachlass gehörende Immobilie zu veräußern. Mag der Geldbedarf des Vorerben auch noch so nachvollziehbar und dringend sein, ohne ausdrückliche Zustimmung des Nacherben ist eine Nachlassimmobilie regelmäßig unverkäuflich.
Um solche Zwangssituationen zu verhindern, kann der Erblasser im Rahmen der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft den Vorerben von zahlreichen Beschränkungen ausdrücklich befreien, § 2136 BGB. So kann der Erblasser dem Vorerben zum Beispiel ausdrücklich gestatten, während der Vorerbschaft auch über Immobilienbesitz zu verfügen.
Private Testamente sind manchmal unklar formuliert
Leider ist es gerade privat erstellten Testamenten nicht immer mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, ob der Erblasser den Vorerben von den Beschränkungen in den §§ 2113 ff. BGB befreit hat.
Besteht in dieser – durchaus wichtigen – Frage Unklarheit, dann sind das vorliegende Testament auszulegen und der Wille des Erblassers zu ermitteln.
Wenn eine solche vorrangige individuelle Auslegung des Testaments zu keinem Ergebnis führt, kann auf eine gesetzliche Auslegungsregel in § 2137 BGB zurückgegriffen werden.
Gesetzliche Auslegungsregeln helfen im Zweifelsfall weiter
In dieser gesetzlichen Vorschrift sind zwei Fälle beschrieben, die in Laientestamenten relativ häufig auftauchen.
Nach § 2137 Abs. 1 BGB gilt:
„Hat der Erblasser den Nacherben auf dasjenige eingesetzt, was von der Erbschaft bei dem Eintritt der Nacherbfolge übrig sein wird, so gilt die Befreiung von allen in § 2136 BGB bezeichneten Beschränkungen und Verpflichtungen als angeordnet.“
In Absatz 2 des § 2137 BGB ist eine weitere typische Formulierung aufgeführt:
„Das Gleiche ist im Zweifel anzunehmen, wenn der Erblasser bestimmt hat, dass der Vorerbe zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein soll.“
Hat der Erblasser demnach eine der beiden vorstehenden Formulierungen in sein Testament aufgenommen, dann ist im Zweifel davon ausgehen, dass er den Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen befreien wollte.
Auslegungsprobleme rund um sein Testament kann der Erblasser freilich immer dadurch vermeiden, in dem er im Testament ausdrücklich anordnet, ob und in welchem Umfang der Vorerbe von den gesetzlichen Beschränkungen befreit sein soll.
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