Erblasser schenkt einem von zwei Schlusserben ein Grundstück – Welche Ansprüche hat der nicht beschenkte Schlusserbe?
- Eltern verfassen gemeinsames Testament mit Kindern als Schlusserben
- Nach dem Tod der Mutter überträgt der Vater an die Tochter ein Grundstück
- Sohn fordert nach dem Tod des Vaters hierfür Kompensation
BGH – Urteil vom 28.09.2016 – IV ZR 513/15
Der Bundesgerichtshof hatte in dritter Instanz über den Anspruch eines Erben zu entscheiden, der sich durch eine lebzeitige Schenkung, die sein Vater an seine Schwester getätigt hatte, ungerecht behandelt fühlte.
In der Angelegenheit hatten sich Eltern durch gemeinsames Testament vom 14.06.1995 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Die beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, sollten nach den Bestimmungen des Testaments nach dem Tod des länger lebenden Ehepartners je hälftige Schlusserben werden.
Nachdem die Mutter im Jahr 1995 verstorben war, übertrug der Vater im gleichen Jahr auf seine Tochter den Familienwohnsitz.
Vater überträgt Familienwohnsitz auf Tochter
In dem notariellen Übertragungsvertrag hatte sich der Vater ein lebenslanges Nießbrauchrecht an dem Anwesen vorbehalten. Gleichzeitig enthielt der Vertrag eine Bestimmung, wonach der Vater unter bestimmten Voraussetzungen vom Übertragungsvertrag zurücktreten kann.
Schließlich sah der Vertrag auch noch vor, dass die Tochter ihren Vater, soweit erforderlich, „unentgeltlich zu pflegen und zu betreuen bzw. ihn kostenlos pflegen und betreuen zu lassen“ habe.
Der Vater verstarb im August 2012, ohne jemals pflegebedürftig geworden zu sein.
Ende 2012 veräußerte die Tochter die ihr übertragene Immobilie zu einem Kaufpreis von 120.000 Euro.
Bruder klagt die Hälfte des Kaufpreises ein
Nach dem Erbfall verlangte der Bruder von seiner Schwester Kompensation für die im Jahr 1995 erfolgte Immobilientransaktion.
Der Bruder trug vor, dass es sich bei der Übertragung der Immobilie um eine ihn beeinträchtigende Schenkung im Sinne von § 2287 BGB handeln würde. Er verlangte von seiner Schwester den hälftigen von ihr erzielten Kaufpreis in Höhe von 60.000 Euro.
Die Schwester weigerte sich, dieser Forderung nachzukommen. Sie ließ ihren Bruder wissen, dass es sich bei der Immobilienübertragung im Jahr 1995 bereits nicht um eine Schenkung gehandelt habe. Weiter habe der gemeinsame Vater aber jedenfalls ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Transaktion gehabt.
Nachdem sich die Geschwister nicht einigen konnten, ging die Sache zu Gericht.
Landgericht und das Kammergericht Berlin in der Berufung verurteilten die Schwester noch, an ihren Bruder 60.000 Euro zu bezahlen.
BGH hebt Berufungsurteil auf
Die Schwester wollte dieses Ergebnis aber nicht akzeptieren und legte gegen das Berufungsurteil Revision zum BGH ein. Dort bekam sie Recht. Der BGH hob das Urteil des Kammergerichts mit recht deutlichen Worten auf.
Der BGH stellte in seinem Urteil zunächst fest, dass der auf den Erbvertrag abstellende § 2287 BGB analog auch auf wechselbezügliche letztwillige Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments anzuwenden sei.
Voraussetzung für einen Anspruch nach § 2287 BGB sei, so der BGH, dass eine Schenkung des Erblassers vorliege und diese Schenkung vom Erblasser in der Absicht vorgenommen wurde, einen Vertrags- oder eben bei analoger Anwendung einen Schlusserben zu beeinträchtigen.
BGH bezweifelt das Vorliegen einer Schenkung
Der Bundesgerichtshof äußerte – im Gegensatz zu den Vorinstanzen – bereits Zweifel, ob der Immobilientransaktion aus dem Jahr 1995 überhaupt eine Schenkung zugrunde gelegen habe.
Der vom Erblasser vorbehaltene Nießbrauch und die von der Tochter übernommene Pflegeverpflichtung müssten zwingend bei der Bewertung der Frage, ob überhaupt eine Schenkung vorliege, berücksichtigt werden.
Des weiteren sei weiter aufzuklären, ob der Erblasser vorliegend das Grundstück überhaupt in der Absicht übertragen habe, seinen Sohn als Schlusserben zu beeinträchtigen.
Lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers?
Erforderlich hierfür sei, so der BGH, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht habe. Ein solcher Missbrauch liege dann nicht vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung gehabt habe.
Im Gegensatz zum Berufungsgericht wollte der BGH ein solches lebzeitiges Eigeninteresse nicht von Vornherein ausschließen. Auch der Umstand, dass eine Pflege des Erblassers nur „bei Bedarf“ hätte stattfinden sollen, stünde der Annahme eines lebzeitigen Eigeninteresses jedenfalls nicht entgegen.
Im Ergebnis verwies der BGH die Angelegenheit zurück an das Kammergericht, damit dort der Sachverhalt weiter aufgeklärt wird.
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