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Kann das Gericht einen Nachlasspfleger einsetzen, wenn der Erblasser eine Generalvollmacht erteilt hat?

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Stuttgart - Beschluss vom 27.05.2016 - 8 W 147/15

  • Geschwister streiten über die Wirksamkeit zweier Testamente
  • Erblasserin erteilt einem Beteiligten noch zu Lebzeiten eine Generalvollmacht
  • Das Gericht kann trotz der Vollmacht einen Nachlasspfleger einsetzen

Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen das Nachlassgericht eine Nachlasspflegschaft anordnen kann, obwohl die Erben bekannt waren und der Erblasser eine über seinen Tod hinaus geltende Generalvollmacht erteilt hatte.

In der Angelegenheit gerieten nach dem Tod der Erblasserin zwei Schwestern und ein Bruder der Erblasserin über die Erbfolge in Streit.

Auslöser für die Auseinandersetzung war der Umstand, dass die Erblasserin zu Lebzeiten zwei Testamente mit unterschiedlichem Inhalt errichtet hatte.

Erblasserin errichtet zu Lebzeiten zwei Testamente

Die Erblasserin hatte nämlich zunächst mit gemeinschaftlichem Ehegattentestament vom 22.12.1976 gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Ehemann verfügt, dass sie von Ihrer Schwester, ihrem Bruder und acht weiteren Verwandten beerbt werden sollte. Ihren Bruder setzte die Erblasserin in diesem Testament als Testamentsvollstrecker ein.

Am 16.02.2012 errichtete die Erblasserin dann aber ein weiteres notarielles Testament. In diesem letzten Willen setzte die Erblasserin nur noch ihre beiden Schwestern als Erben ein und bestimmte eine der beiden Schwestern als Testamentsvollstreckerin.

Nach dem Tod der Erblasserin zweifelte der Bruder die Wirksamkeit des zeitlich späteren Testaments aus dem Jahr 2012 an. Er vertrat die Auffassung, dass dieses Testament unwirksam sei, da die Erblasserin zum Zeitpunkt der Erstellung an Demenz erkrankt und testierunfähig gewesen sei.

Der Bruder strengte gegen die beiden Schwestern vor dem Landgericht ein Klageverfahren an, mit dessen Hilfe er die Unwirksamkeit des Testaments aus dem Jahr 2012 und damit sein eigenes Erbrecht festgestellt wissen wollte. Zum Beweis für die Testierunfähigkeit der Erblasserin stützte sich der Bruder der Erblasserin auf ein Zeugnis der Hausärztin der Erblasserin und einen Arztbrief des Klinikums Stuttgart.

Parteien streiten vor Gericht um das Erbrecht

Die beiden Schwestern traten diesem Vortrag entgegen und beriefen sich vor Gericht auf eine andere ärztliche Stellungnahme und auf das Zeugnis des Notars, der das zeitlich spätere Testament beurkundet hatte.

Um zu einer Entscheidung über die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin zu gelangen, ordnete das von dem Bruder der Erblasserin angerufene Landgericht eine Beweisaufnahme an.

In dieser Situation ordnete das zuständige Nachlassgericht mit Beschluss vom 26.02.2015 eine Nachlasspflegschaft an und bestellte eine dritte Person zum Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses.

Gegen diesen Beschluss erhoben die beiden Schwestern der Erblasserin Beschwerde. Sie trugen vor, dass die Voraussetzungen für die Einsetzung eines Nachlasspflegers unter anderem deswegen nicht vorliegen würden, da die Erblasserin die beiden Schwestern mit einer über den Tod hinaus geltenden Generalvollmacht ausgestattet hätte.

Beschwerde gegen die Anordnung einer Nachlasspflegschaft

Unabhängig von der Frage der Wirksamkeit des zeitlich späteren Testaments sei das Bedürfnis für eine Anordnung einer Nachlasspflegschaft gar nicht gegeben, da für den Nachlass zumindest wegen der existierenden Generalvollmachten kein Fürsorgebedürfnis bestehen würde.

Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

In der Begründung seiner Entscheidung wies das OLG darauf hin, dass seiner Auffassung nach die Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft vom Nachlassgericht mit Recht angenommen worden seien.

Wenn das Nachlassgericht über die Erbberechtigung berechtigte Zweifel hat und insbesondere wenn über die Frage der Erbfolge ein Rechtsstreit anhängig sei, seien die Voraussetzungen für eine Nachlasspflegschaft gegeben.

Ebenso wenig stehe der Umstand, dass die Erblasserin einen Testamentsvollstrecker benannt habe, der Anordnung der Nachlasspflegschaft entgegen. Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass zwei verschiedene Personen als Testamentsvollstrecker in Frage kommen würden, je nachdem, welches der beiden vorliegenden Testamenten für die Regelung der Erbfolge zur Anwendung komme.

Nachlasspflegschaft trotz Generalvollmacht möglich

Und schließlich standen auch die zugunsten der beiden Schwestern vorliegenden Generalvollmachten der Anordnung der Nachlasspflegschaft nicht entgegen.

Das OLG stellte zwar fest, dass ein für die Einsetzung eines Nachlasspflegers erforderliche Fürsorgebedürfnis fehlen könne, wenn ein Bevollmächtigter vorhanden sei, der sich um den Nachlass kümmern kann.

Nachdem die Vollmachten im zu entscheidenden Fall aber in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem zweiten Testament ausgestellt wurden, würden auch die Vollmachten im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit der Vollmachtgeberin berechtigten Zweifeln unterliegen.

Weiter sei die Intention des Nachlassgerichts, die Sicherung des Nachlasses einem unbeteiligten Dritten - und gerade nicht einem der Beteiligten des Rechtsstreits - in die Hände zu legen, nachvollziehbar und ermessensfehlerfrei.

Im Ergebnis mussten alle Beteiligten also auf den Ausgang des Verfahrens vor dem Landgericht warten. Bis dahin hat der Nachlasspfleger das Sagen.

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