Der Ehepartner kann zwischen dem großen und dem kleinen Pflichtteil wählen – Was bedeutet das?
- Bei der Zugewinngemeinschaft gibt es zwischen dem Familien- und dem Erbrecht Schnittpunkte
- Der überlebende Ehepartner kann die Erbfolge unter Umständen in gewissem Umfang gestalten
- Wahlrecht zwischen erhöhtem Erbteil und konkret berechnetem Zugewinn samt Pflichtteil
In aller Regel steht im Moment des Erbfalls fest, welchen Anteil an einer Erbschaft ein Erbe erhält.
Die Beteiligungsquote des Erben ergibt sich entweder aus dem Gesetz und den §§ 1924 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), wenn der Erblasser keinen letzten Willen hinterlassen hat.
Hat der Erblasser ein Testament oder einen Erbvertrag errichtet, dann sind die jeweiligen Erbquoten für die einzelnen Beteiligten zwanglos diesen Urkunden zu entnehmen.
Erbrecht des Ehepartners wird vom Güterstand beeinflusst
Nur in wenigen Ausnahmefällen haben es die Beteiligten nach Eintritt des Erbfalls selber in der Hand, ihre Beteiligung am Nachlass durch die Abgabe entsprechender Erklärungen zu beeinflussen.
Der wohl wichtigste Fall, bei dem ein Nachlassbeteiligter seine wirtschaftliche Beteiligung am Nachlass nach dem Erbfall (auch nach oben) verändern kann, ist der des im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehegatten.
Hier kann der überlebende Ehegatte durch geschicktes Verhalten nach dem Erbfall unter Umständen selber dafür sorgen, dass er wirtschaftlich besser gestellt wird.
Im Erbfall muss der Zugewinn ausgeglichen werden
Grund für diese zugunsten des Ehegatten bestehende Manövriermöglichkeit ist der Zusammenhang von erbrechtlichen Vorschriften einerseits und güterrechtlichen Bestimmungen auf der anderen Seite. § 1931 BGB postuliert für den Ehegatten ein gesetzliches Erbrecht.
Daneben existiert die Vorschrift des § 1371 BGB, die bestimmt, in welcher Form der gesetzliche Zugewinn im Falle des Todes des Ehegatten auszugleichen ist.
Im Zusammenspiel dieser beiden Vorschriften hat der überlebende Ehegatte nach Eintritt des Erbfalls unter Umständen ein Wahlrecht, das er zu seinen Gunsten nutzen kann.
Die Eheleute müssen im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben
Das Wahlrecht für den überlebenden Ehegatten besteht nur dann, wenn die Eheleute im so genannten gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben.
Dieser Güterstand ist die Regel in Deutschland und liegt immer dann vor, wenn die Eheleute nach ihrer Verheiratung nicht ausdrücklich einen anderen Güterstand in Form der Gütertrennung oder der Gütergemeinschaft gewählt haben.
Haben die Eheleute in Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, dann können bei Ableben eines Partners folgende Konstellationen gegeben sein:
1. Der überlebende Ehegatte wurde nicht Erbe und es wurde ihm auch kein Vermächtnis zugewendet
Ist der überlebende Ehegatte vom seinem verstorbenen Ehepartner in einem Testament enterbt worden und wurde ihm auch kein Vermächtnis zugewendet, dann verbleibt es bei seinem Pflichtteilsanspruch nach §§ 2303 ff. BGB in Höhe der Hälfte seines (nicht erhöhten) gesetzlichen Erbteils (kleiner Pflichtteil) und seinem Zugewinnanspruch, der sich aus den §§ 1372 ff. BGB ergibt.
Eine Gestaltungsmöglichkeit besteht in diesem Fall für den überlebenden Ehegatten nicht. Es kommt die so genannte güterrechtliche Lösung zum Tragen.
2. Der überlebende Ehegatte wurde gesetzlicher Erbe
Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich für den überlebenden Ehegatten jedoch dann, wenn er gesetzlicher Erbe seines verstorbenen Partners wurde, der Verstorbene also weder Testament noch Erbvertrag hinterlassen hat.
In diesem Fall kann der überlebende Ehegatte nämlich zwischen der so genannten erbrechtlichen und der so genannten güterrechtlichen Lösung wählen.
Die erbrechtliche Lösung
Ist der überlebende Ehegatte gesetzlicher Erbe (es existiert kein Testament und kein Erbvetrag) geworden, dann erhöht sich der Erbteil des überlebenden Ehegatten nach der erbrechtlichen Lösung wegen der Vorschriften in §§ 1931 Abs. 3 und 1371 Abs. 1 BGB pauschal um ein Viertel.
Neben Kindern als Erben erhält der Ehegatte erhält der überlebende Ehegatte also beispielsweise einen Erbteil von ½ (Gesetzliches Erbrecht aus § 1931 BGB in Höhe von ¼ zuzüglich pauschaler Zugewinnausgleich aus § 1371 BGB in Höhe von ¼).
Es kommt bei der pauschalen Erhöhung des Ehegattenerbteils um ¼ nach § 1371 BGB dabei ausdrücklich nicht darauf an, ob der verstorbene Ehepartner überhaupt einen Zugewinn während des Bestehens der Ehe erzielt hat.
Die güterrechtliche Lösung
Der überlebende Ehegatte als gesetzlicher Erbe kann aber von der erbrechtlichen Lösung Abstand nehmen und die Erbschaft ausschlagen. Dieses freie Wahlrecht eröffnet § 1371 Abs. 3 BGB.
Im Fall der Ausschlagung kann er neben dem konkret berechneten Ausgleich des Zugewinns nach den §§ 1372 ff. BGB den so genannten kleinen Pflichtteil geltend machen.
Der kleine Pflichtteil besteht in der Höhe der Hälfte des (nicht erhöhten) gesetzlichen Erbteils des Ehegatten.
Welche Lösung ist für den überlebenden Ehegatten vorteilhafter?
Die Wahl zwischen der erbrechtlichen und der güterrechtlichen Lösung steht und fällt für den überlebenden Ehegatten mit der Frage, ob der konkret berechnete Zugewinn zusammen mit dem kleinen Pflichtteil einen höheren Wert ergeben als der pauschal um ¼ erhöhte Erbteil.
Nach Kerscher/Tanck, „Pflichtteilsrecht in der anwaltlichen Praxis“, soll die Ausschlagung des Erbes für den überlebenden Ehegatten dann wirtschaftlich vorteilhafter sein, wenn bei vorhandenen Kindern als gesetzliche Erben neben dem überlebenden Ehegatten der Anteil des Zugewinns am Nachlass mindestens 85,71 % beträgt.
Neben gesetzlichen Erben zweiter Ordnung (Eltern und Geschwister des Erblassers) soll immer die erbrechtliche Lösung vorteilhafter sein.
3. Der überlebende Ehegatte ist testamentarischer Erbe oder Vermächtnisnehmer
Ist der überlebende Ehegatte nicht gesetzlicher Erbe, sondern in dem Testament seines verstorbenen Partners als Erbe oder Vermächtnisnehmer bedacht worden, dann entfällt der Zugewinnausgleichanspruch zunächst.
Ist der dem überlebenden Ehegatten im Testament hinterlassene Erbteil von geringerem Wert als die Hälfte des nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten gesetzlichen Erbteils (so genannter großer Pflichtteil), dann steht dem überlebenden Ehegatten zusätzlich zu seinem Erbteil ein so genannter Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB zu.
Anstatt diese rein erbrechtlichen Ansprüche geltend zu machen kann der überlebende Ehegatte aber auch hier die ihm angetragene Erbschaft ausschlagen und den konkret berechneten Zugewinnausgleichsanspruch sowie zusätzlich den kleinen Pflichtteil aus dem nicht erhöhten Ehegattenerbteil geltend machen.
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