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Wann darf ein Arzt als Zeuge in einem Erbschaftsprozess die Aussage verweigern?

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Koblenz – Beschluss vom 23.10.2015 – 12 W 538/15

Das Oberlandesgericht Koblenz hatte in einer Nachlasssache darüber zu befinden, ob ein die Erblasserin zu deren Lebzeiten behandelnder Arzt als Zeuge aussagen muss oder ob sich der Arzt auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann.

In der Angelegenheit waren zwei Geschwister nach dem Tod ihrer Mutter in Streit geraten. Der Bruder machte gegen seine Schwester Pflichtteilsansprüche geltend.

Die Schwester konterte diese Pflichtteilsansprüche mit dem Hinweis, wonach sie ihre Mutter zu deren Lebzeiten aufopferungsvoll gepflegt habe. Diesen Aufwand für die Pflege wollte die Schwester nach § 2316 BGB im Rahmen der Berechung des Pflichtteils berücksichtigt wissen.

Das Gericht erster Instanz wollte Genaueres zur tatsächlichen Pflegebedürftigkeit der Erblasserin wissen und erließ einen Beweisbeschluss, wonach der die Erblasserin behandelnde Arzt nähere Angaben zum Zustand der Erblasserin machen sollte.

Der behandelnde Arzt verweigerte jedoch in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht die Aussage. Über einen Streit unter den Kindern seiner ehemaligen Patientin könne er nichts sagen. Er habe mit der Erblasserin zu deren Lebzeiten auch nicht über persönliche Angelegenheiten gesprochen.

In dem Verfahren entstand Streit über die Frage, ob der Arzt tatsächlich berechtigt war, seine Aussage unter Hinweis auf seine Schweigepflicht zu verweigern.

Diesen Streit entschied das Landgericht im Rahmen eines Zwischenurteils zu Gunsten des Arztes (und des Pflichtteilsberechtigten). Der Arzt, so das Landgericht, habe aufgrund seiner Schweigepflicht das Recht, die Aussage zu verweigern.

Gegen dieses Zwischenurteil legte die Schwester aber Beschwerde zum OLG ein. Und dort bewertete man die Angelegenheit tatsächlich ganz anders.

Das OLG wies in seiner Entscheidung auf einige grundlegende Parameter zur ärztlichen Schweigepflicht hin, die der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 1984 aufgestellt hatte (BGH, Beschluss vom 04.07.1984, IVa ZB 18/83):

  • Die ärztliche Schweigepflicht reicht über den Tod der Patienten hinaus.
  • Nach dem Tod der Patienten ist zu prüfen, ob sie zu Lebzeiten geäußert haben, dass der Arzt nach ihrem Tod schweigen soll bzw. dass er Angaben machen darf.
  • Gibt es eine solche Äußerung nicht, ist der mutmaßliche Wille der Verstorbenen zu erforschen, also zu prüfen, ob sie die Offenlegung mutmaßlich gebilligt oder missbilligt hätten.

Diese Grundsätze den zu entscheidenden Fall angewendet, stellte das OLG fest, dass sich die Erblasserin zur Frage eines Aussagerechts des Arztes zu keinem Zeitpunkt konkret geäußert habe.

Damit sei, so das OLG, der mutmaßliche Wille der Erblasserin entscheidend.

Der Arzt, der seine Aussage verweigern will, müsse „eine gewissenhafte Prüfung vornehmen und im Einzelnen darlegen, auf welche Belange des Verstorbenen sich seine Weigerung stützt“ (BGH a.a.O.).

Die Äußerungen des Arztes in dem Verfahren legten aber offenbar nahe, dass er sich zu der Frage, welchen mutmaßlichen Willen seine ehemalige Patientin gehabt habe, mangels konkreter Anhaltspunkte überhaupt keine Gedanken gemacht hatte.

Dies korrigierte das OLG aber und verpflichtete den Arzt zur Aussage. Das Beschwerdegericht war nämlich der Überzeugung, dass die Erblasserin ihren Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden hätte, wenn sie an einen Erbschaftsstreit zwischen ihren Kindern gedacht hätte.

Der mutmaßliche Wille der Erblasserin gehe, so das Gericht, dahin, dass zwischen ihren Kindern beim Erben ein möglichst gerechter Ausgleich stattfinden solle. Wenn in diesem Zusammenhang die Frage ihrer Pflegebedürftigkeit relevant sei, hätte es dem Interesse der Erblasserin entsprochen, dass der behandelnde Arzt entsprechende Angaben macht.

Nachdem das Gericht auch keine Anhaltspunkte dafür erkennen konnte, dass eine Aussage des Arztes der Erblasserin peinlich oder unangenehm gewesen wäre, musste der Arzt im Ergebnis zum Zustand seiner ehemaligen Patientin umfassend Auskunft geben.

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