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Ein Sohn erhält von seiner Mutter eine Vorsorgevollmacht – Muss der bevollmächtigte Sohn gegenüber seinen Geschwistern nach dem Tod der Mutter Rechenschaft ablegen?

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Braunschweig, Urteil vom 28.04.2021, 9 U 24/20

  • Mutter erteilt ihrem Sohn eine Vorsorgevollmacht
  • Sohn nimmt mit Hilfe der Vollmacht über Jahre Vermögensverfügungen vor
  • Nach dem Tod der Mutter will die Tochter genau wissen, welche Vermögenstransaktionen ihr Bruder vorgenommen hat

In einer sorgfältig begründeten Entscheidung hat das Oberlandesgericht Braunschweig über einen Streit unter Geschwistern entschieden.

Auslöser des Streitfalls war eine Vorsorgevollmacht, die die Mutter der beiden Streitparteien ihrem Sohn am 25.10.2007 erteilt hatte.

Mithilfe dieser Vollmacht tätigte der Sohn Verfügungen über das Vermögen seiner Mutter.

Ist die Vollmacht ordnungsgemäß eingesetzt worden?

Nach dem Ableben der Mutter am 31.12.2018 warf eine Tochter der Erblasserin ihrem Bruder vor, er habe die Vollmacht „unzuverlässig und eigennützig“ eingesetzt.

Ein Vorwurf, den der Sohn der Erblasserin selbstverständlich umgehend bestritt.

Nachdem man sich außergerichtlich nicht einigen konnte, verklagte die Tochter der Erblasserin ihren Bruder auf Rechnungslegung über sämtliche Rechtsgeschäfte, die der bevollmächtigte Bruder seit der Erteilung der Vollmacht im Jahr 2007 bis zum Ableben der gemeinsamen Mutter im Jahr 2018 getätigt hatte.

Landgericht gibt der Klage statt

Das Landgericht gab der Klage der Tochter der Erblasserin weitgehend statt.

Das Gericht erster Instanz beschränkte lediglich den Zeitraum, in dem der Bruder der Klägerin zur Rechnungslegung verpflichtet war.

Nachdem der Erblasserin am 01.04.2017 eine Kontrollbetreuerin zur Seite gestellt worden war, sei der bevollmächtigte Beklagte, so das Urteil des Landgerichts, auch nur bis zu diesem Datum zur Rechnungslegung verpflichtet.

Sohn der Erblasserin legt Berufung zum OLG ein

Dieses Urteil des Landegerichts wollte der Beklagte aber nicht hinnehmen und legte Berufung zum Oberlandesgericht ein.

Das OLG änderte das Urteil aus der ersten Instanz daraufhin erheblich ab.

Dabei hatte aber auch das OLG keinen Zweifel daran, dass der Sohn der Erblasserin dem Grunde nach verpflichtet sei, seiner Schwester mittels detaillierter Rechnungslegung Informationen über sein Wirken zu erteilen.

Das OLG beschränkte aber den Zeitraum über den vom Beklagten Rechnung zu legen ist.

Pflicht zur Rechnungslegung nicht schon ab Datum der Erteilung der Vollmacht

Das OLG konnte eine Pflicht zur Rechnungslegung erst ab dem 12.12.2014 erkennen, da die Erblasserin nach den Feststellungen des OLG erst ab diesem Datum nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihre Geschäfte selbstständig zu besorgen.

Im Übrigen wies das OLG in der lesenswerten Entscheidung auf folgende Punkte hin:

Grundlegend stellte das OLG fest, dass sich das Urteil tatsächlich nur auf den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Rechnungslegung beziehen würde.

Das OLG wollte nicht ausschließen, dass man den betroffenen Zeitraum für einen der Klägerin gegebenenfalls ebenfalls zustehenden Auskunfts- und Zahlungsanspruch abweichend festlegen müsse.

Bestand ein Auftragsverhältnis zwischen Mutter und Sohn?

Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Rechnungslegung sei, so das OLG, ein Auftragsverhältnis zwischen der vollmachtgebenden Mutter und dem bevollmächtigten Sohn.

Ein solches Auftragsverhältnis liege nicht schon in der bloßen Erteilung der Vorsorgevollmacht.

Für ein Auftragsverhältnis sei vielmehr erforderlich, dass sich Vollmachtgeber und Bevollmächtigter darüber einigen, dass der Bevollmächtigte für den Vollmachtgeber in dessen Angelegenheiten tätig wird und pflichtgemäß tätig werden muss.

Liegt solch ein Auftragsverhältnis nach der Rechtsprechung im Verhältnis zwischen Eheleuten regelmäßig nicht vor, so müsse bei anderen Konstellationen in jedem Einzelfall festgestellt werden, ob einer Bevollmächtigung ein (verbindliches) Auftragsverhältnis oder ein (unverbindliches) Gefälligkeitsverhältnis zugrunde liege.

Wirtschaftliche Bedeutung der Vorsorgevollmacht

Im zu entscheidenden Fall gab die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, die mit der Erteilung der Vorsorgevollmacht verbunden war, für das Gericht den Ausschlag, ein verbindliches Auftragsverhältnis zwischen Mutter und Sohn anzunehmen.

Nur ausnahmsweise sei nach Erteilung einer Vollmacht dann kein Auftragsverhältnis anzunehmen,

„wenn die Lebens- und Vertrauensverhältnisse zwischen Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer so eng sind, dass Rechnungslegung untereinander ohnehin nicht erwartet wird.“

Anspruch auf Rechnungslegung ist nicht verwirkt

Diese Ausnahme verneinte das OLG aber für den zu entscheidenden Fall.

Das OLG konnte schließlich auch den Argumenten des Sohnes der Erblasserin, wonach der Anspruch auf Rechnungslegung „verwirkt“ bzw. ihm die Erfüllung „unmöglich“ sei, nicht besonders viel abgewinnen.

Im Ergebnis musste der Sohn der Erblasserin nach diesem Urteil seiner Schwester damit für einen Zeitraum von drei Jahren eine geordnete Aufstellung über die mit Hilfe der Vollmacht vorgenommenen Vermögensbewegungen zukommen lassen.

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