Angehörige von Opfern der German Wings-Flugzeugkatastrophe kann Ausschlagung der Erbschaft erfolgreich anfechten
OLG Düsseldorf – Beschluss vom 16.11.2016 – I-3 Wx 12/16
- Gesetzliche Erbin eines Opfers irrt sich über Ansprüche der Erblasserin gegen die Lufthansa
- Ausschlagung der Erbschaft wird angefochten
- OLG beurteilt Anfechtung der Ausschlagung als gerechtfertigt
In einer Erbscheinsangelegenheit hatte das OLG Düsseldorf die Wirksamkeit der Anfechtung einer von einer Erbin erklärten Erbausschlagung zu klären.
Die Erblasserin und ihr Vater waren Opfer bei der German Wings-Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen.
Die Schwester des Vaters der Erblasserin kam als gesetzliche Erbin in Frage. Im April 2015 schlug die Erbin aber die Erbschaft mit notarieller Erklärung aus. Im Rahmen der Ausschlagung gab die Betroffene den Nachlasswert mit einem Betrag von 20.000 Euro an.
Mit Schreiben vom 11.06.2015 erklärte die Betroffene gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung der Erbschaftsausschlagung. Sie begründete diese Anfechtung mit dem Hinweis, dass sie sich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt habe.
Eigener Schmerzensgeldanspruch der Erblasserin gegen die Lufthansa
Tatsächlich hatte die Betroffene nämlich erfahren, dass auch der Erblasserin selber – und nicht nur den Hinterbliebenen – Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Lufthansa als Mutterkonzern der German Wings GmbH zustehen würden. Im Zeitpunkt der Erbausschlagung sei sie davon ausgegangen, dass nur die Hinterbliebenen entsprechende Ansprüche geltend machen könnten.
Diese Ansprüche würden mithin in den Nachlass fallen und ihn so wirtschaftlich wesentlich aufwerten.
Im Juli 2015 wurde dann von den gesetzlichen Erben der Erblasserin beim Nachlassgericht ein Erbschein beantragt, der neben anderen Erben auch die Betroffene als Erbin ausweisen sollte.
Das Nachlassgericht lehnte diesen Erbscheinantrag aber als unbegründet ab. Die Betroffene sei keine Erbin, da sie die Erbschaft ausgeschlagen habe und die Anfechtung der Erbausschlagung nicht verfange.
Nachlassgericht verweigert Erbschein
Die Betroffene habe, so das Nachlassgericht, gewusst, dass der Nachlass werthaltig sei. Der Umstand, dass durch die Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Lufthansa ein noch höherer Nachlasswert zu erwarten sei, rechtfertige die Anfechtung der Ausschlagung nicht.
Gegen diesen Beschluss des Nachlassgerichts legte die Betroffene Beschwerde zum Oberlandesgericht ein. Dort bekam sie auch Recht. Das Nachlassgericht wurde vom OLG angewiesen, den beantragten Erbschein zu erteilen.
Das OLG wertete den Erbscheinantrag als begründet, da die Betroffene ihre Ausschlagungserklärung erfolgreich angefochten hätte.
OLG: Anfechtung der Ausschlagung ist möglich
Der Anfechtungsgrund ergebe sich vorliegend aus § 119 Abs. 2 BGB, nachdem sich die Betroffene über eine verkehrswesentliche Sache der Erbschaft geirrt habe. Bei der Zugehörigkeit der eigenen Schmerzensgeldansprüche der Erblasserin zum Nachlass handele es sich, so das OLG, um eine solche verkehrswesentliche Eigenschaft der Erbschaft.
Dabei stellte das OLG in der Begründung seiner Entscheidung klar, dass ein Irrtum über die Größe oder den Wert des Nachlasses grundsätzlich nie einen zur Anfechtung der Ausschlagung berechtigenden Irrtum darstelle.
Hingegen könne ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter Rechte oder Sachen zum Nachlass zur Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung berechtigen, soweit es sich hierbei um eine verkehrswesentliche Eigenschaft handeln würde. Verkehrswesentlich seien, so das OLG, dabei „wertbildende Faktoren von besonderem Gewicht, die im Verhältnis zur gesamten Erbschaft eine erhebliche und für den Wert des Nachlasses wesentliche Bedeutung haben“.
Die Höhe der im Raum stehenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Lufthansa rechtfertige, so das OLG, die Annahme, dass diese Ansprüche als verkehrswesentlich eingestuft werden.
Nachdem der Irrtum über die Zugehörigkeit der Ansprüche zum Nachlass auch kausal für die Entscheidung der Betroffenen war, die Erbschaft auszuschlagen, konnte die Betroffene ihre Ausschlagungserklärung erfolgreich anfechten.
Die Betroffene war mithin gesetzliche Erbin und der Erbschein konnte wie beantragt erteilt werden.
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