Ein Erbe fällt weg – Was passiert mit dem frei gewordenen Erbteil?
OLG Düsseldorf – Beschluss vom 16.06.2014 – I-3 Wx 256/13
- Tochter einer vorverstorbenen Erbin will am Erbe beteiligt werden
- Im Testament eingesetzte Erben widersprechen dem Erbscheinantrag der Tochter der vorverstorbenen Erbin
- OLG weist auf mehrere mögliche Entscheidungsvarianten hin
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte über die Frage zu befinden, wie sich die Erbfolge gestaltet, wenn eine in einem Testament eingesetzte Erbin vor dem Ableben des Erblassers selber verstirbt.
Der Erblasser, der verwitwet und ohne eigene Kinder verstarb, hatte am 29.01.1993 ein privates Testament verfasst. In diesem Testament bestimmte der Erblasser, dass sein Vermögen nach seinem Ableben an die Nichte seiner verstorbenen Frau und ihren Ehemann sowie an seine Schwester A und sein Patenkind zu verteilen sei.
Die in dem Testament als Erbin benannte Schwester A des Erblassers verstarb vorzeitig und erlebte den Erbfall nicht mehr. Die Schwester A hinterließ jedoch eine Tochter.
Diese Tochter der vorverstorbenen Schwester A beantragte nach dem Tod des Erblassers beim Nachlassgericht einen Erbschein „für ihren Anteil am Erbe“. Ihren Erbanspruch begründete die Antragstellerin mit dem Umstand, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter als Ersatzerbin zur Erbfolge berufen sei.
Zwei sich widersprechende Erbscheinanträge werden gestellt
Der in dem Testament als Erbe benannte Ehemann der Nichte der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers reagierte daraufhin mit einem eigenen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins.
Er beantragte, dass das Nachlassgericht durch Erteilung eines Erbscheins feststellen möge, dass die drei verbliebenen in dem Testament aus dem Jahr 1993 benannten Erben jeweils ein Drittel der Erbschaft erhalten sollen. Die von der Tochter der Schwester für sich reklamierte Stellung als Ersatzerbin verneinte der Ehemann der Nichte der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers damit.
Das Nachlassgericht teilte mit, dass es den Erbscheinsantrag des Ehemanns der Nichte der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers für begründet erachtet und stellte die Erteilung des beantragten Erbscheins in Aussicht. Hiergegen legte die Tochter der vorverstorbenen Schwester des Erblassers Beschwerde zum Oberlandesgericht ein.
Wollte der Erblasser für einen frei werdenden Erbteil die gesetzliche Erbfolge?
Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen.
In der Begründung seiner Entscheidung verwies das Gericht zunächst darauf, dass nach dem Wegfall eines in einem Testament eingesetzten Erben denklogisch drei Möglichkeiten für die weitere Erbfolgeregelung in Frage kommen.
Es sei erstens möglich, dass an die Stelle des weggefallenen Erben ein Ersatzerbe tritt. Weiter sei denkbar, dass der Erbteil des weggefallenen Erben auf die verbliebenen Erben verteilt wird und bei deren Erbteilen eine so genannte Anwachsung erfolgt. Schließlich komme auch in Betracht, dass der Erbteil des weggefallenen Erben frei wird und nach den Grundsätzen der gesetzlichen Erbfolge weitergegeben wird.
Im zu entscheidenden Fall stimmte das OLG der Bewertung des Nachlassgerichts zu, dass eine Ersatzerbfolge nach dem Vorversterben der Schwester des Erblassers auf die Tochter der Schwester nicht in Frage kommt.
In Ermangelung einer Regelung im Testament des Erblassers für den Fall des vorzeitigen Wegfalls eines Erben, sei das Testament auszulegen und auf diesem Weg zu ermitteln, was der Erblasser für diesen Fall gewollt hätte.
Im Rahmen der Auslegung schloss das Beschwerdegericht zunächst aus, dass es dem Willen des Erblassers entsprochen hätte, dass der frei gewordene Erbteil nach den Grundsätzen der gesetzlichen Erbfolge vererbt wird.
Eine Anwachsung des frei gewordenen Erbteils bei den anderen Erben komme dann in Betracht, wenn der Erblasser in seinem Testament keine Ersatzerbenbestimmung vorgenommen habe und sich ein darauf gerichteter Wille des Erblassers auch nicht durch eine Auslegung des Testaments ergebe.
Die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach bei vorzeitigem Wegfall eines Abkömmlings dessen Abkömmlinge als Ersatzerben in Frage kommen, könne, so das Gericht, im vorliegenden Fall weder direkt noch analog zur Anwendung kommen, da mit der vorverstorbenen Schwester gerade kein Abkömmling vor Eintritt des Erbfalls verstorben ist.
Entscheidendes Kriterium bei der Auslegung des Testaments für die Frage einer Ersatzerbschaft sei, ob der Erblasser dem weggefallenen Erben persönlich etwas zuwenden wollte (dann keine Ersatzerbschaft) oder ob er ihn als ersten seines Erbstammes begünstigen wollte (dann Ersatzerbschaft).
Der Erbscheinsantrag der Tochter wird abgelehnt
Alleine aus der Bezeichnung der weggefallenen Erbin in dem Testament als „meine Schwester“ schloss das OLG aber, dass es dem Erblasser vorrangig darum gegangen sei, der Schwester persönlich etwas zukommen zu lassen und nicht in ihrer Eigenschaft als Repräsentantin ihres Erbstammes.
Die Tochter der vorverstorbenen Schwester war mithin keine Ersatzerbin und ihr Erbscheinsantrag aus diesem Grund zurückzuweisen.
Ergänzend bemerkte das OLG, dass einiges dafür spricht, dass die nach § 2094 BGB durchzuführende Anwachsung des frei gewordenen Erbteils vorliegend ergibt, dass die Nichte seiner verstorbenen Frau und ihr Ehemann gemeinsam Erben zu ½ geworden seien und der andere hälftige Erbteil auf das Patenkind des Erblassers entfällt.
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