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Auch eine Vollmacht kann ein Testament sein

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Hamm – Urteil vom 11.05.2017 – 10 U 64/ 16

  • Erblasserin verfasst ein Testament und zwei „Vollmachten“
  • In den Vollmachten wendet die Erblasserin ihrer Nichte Bankguthaben zu
  • Gericht wertet die Vollmachten als Vermächtnis zugunsten der Nichte

Das Oberlandesgericht Hamm hatte über die Frage zu befinden, ob eine von einer Erblasserin schriftlich erteilte „Vollmacht“ ein Testament sein kann.

In der Angelegenheit war die Erblasserin war im Jahr 2014 unverheiratet und kinderlos verstorben.

Am 07.06.2013 hatte die Erblasserin ein handschriftliches Testament verfasst. In diesem Testament wurde festgelegt, dass nach dem Eintritt des Erbfalls die beiden Schwestern der Erblasserin das Wohnhaus der Erblasserin je zur Hälfte erhalten sollen.

Am 11.06.2013 setzte die Erblasserin zwei weitere Schriftstücke auf, denen die Erblasserin jeweils die Überschrift „Vollmacht“ gab.

Inhalt der Vollmachten ist ungewöhlich

In dem einen Schriftstück ordnete die Erblasserin zugunsten einer ihrer Nichten folgendes an:

Die Nichte solle das Recht haben,

„über meinen Bausparvertrag bei der B Bausparkasse … Bausparvertrags Nr. #### über meinen Tod hinaus, zu verfügen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen“.

In dem zweiten mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstück legte die Erblasserin folgendes fest:

Die Nichte solle das Recht haben,

„über sämtliches Vermögen, welches bei der Volksbank Q auf meinem Girokonto und  Ersparnissen (Sparbuch, Geldanlagen) besteht, über meinen Tod hinaus, zu verfügen“.

Zum Zeitpunkt des Erbfalls wiesen die Konten der Erblasserin bei der Volksbank ein Guthaben von 59.301 Euro aus. Der Bausparvertrag valutierte mit einem Betrag in Höhe von 4.137,30 Euro.

Schwestern der Erblasserin beantragen als Miterben einen Erbschein

Nach dem Eintritt des Erbfalls beantragten und erhielten die beiden Schwestern der Erblasserin einen Erbschein, der sie als Erben zu je ½ auf Grundlage des Testaments vom 07.06.2013 auswies.

In der Folge trat die in den „Vollmachten“ angesprochene Nichte der Erblasserin an die beiden Erbinnen, eine davon ihre Mutter, heran. Die Nichte vertrat die Auffassung, dass die von der Erblasserin ausgestellten Vollmachten tatsächlich Testamente seien und in diesen Testamenten zugunsten der Nichte Vermächtnisse ausgesetzt seien.

Ihre eigene Mutter als Miterbin überzeugte die Nichte der Erblasserin mit dieser Argumentation relativ schnell. Die Mutter erkannte den Vermächtnisanspruch ihrer Tochter an und stellte ihr einen Betrag in Höhe von 31.709 Euro zur Verfügung.

Die weitere Schwester der Erblasserin und hälftige Miterbin wollte den Argumenten der Nichte aber nicht folgen.

Nichte erhebt gegen ihre Tante Klage

Der Nichte der Erblasserin blieb nichts anderes übrig, als ihren Anspruch vor Gericht einzuklagen.

In erster Instanz gab das Landgericht der Klage gegen die zahlungsunwillige Miterbin und Tante der Klägerin statt.

Gegen dieses Urteil legte die beklagte Miterbin Berufung zum Oberlandesgericht ein. Dort schloss sich das OLG aber der Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts an und wies die Berufung als unbegründet zurück.

Auch das OLG kam bei der Bewertung der vorgetragenen Argumente zu dem Schluss, dass die Erblasserin die bei der Bank und der Bausparkasse gehaltenen Vermögenswerte durch Vermächtnis zugewandt habe.

Das OLG wies dabei darauf hin, dass die mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstücke die formalen Anforderungen an ein formwirksames Testament erfüllen würden. Es sei insbesondere nicht notwendig, eine letztwillige Verfügung auch mit der Bezeichnung „Testament“ oder „letzter Wille“ zu versehen.

OLG bestätigt für die beiden Vollmachten einen Testierwillen bei der Erblasserin

Die Erblasserin habe auch den für ein wirksames Testament erforderlichen Testierwillen gehabt. Die bloße Erteilung einer Vollmacht an die Nichte ergebe, so das OLG, auch deswegen keinen Sinn, da die Erblasserin der Mutter der Klägerin bereits eine Handlungsvollmacht erteilt hatte.

Auch seien die beiden als „Vollmacht“ bezeichneten Schriftstücke von der Erblasserin gemeinsam mit ihrem Testament verwahrt worden.

Hinzu kam, dass sich die Erblasserin ersichtlich mit erbrechtlichen Formulierungen und juristischen Fragen nicht auskannte.

Auch die Anordnung in einer der beiden „Vollmachten“ wonach sich die Nichte nach dem Tod ihrer Tante ein vorhandenes Guthaben auszahlen lassen könne, spreche, so das OLG, deutlich für den Willen der Erblasserin, ihrer Nichte tatsächlich eine Zuwendung zukommen zu lassen und nicht nur eine Bevollmächtigung vorzunehmen.

Schließlich hatte die Mutter der Klägerin dem Gericht noch berichtet, dass die Erblasserin mit Hinweis auf die Vollmachten ihr gegenüber erklärt habe:

Das ist für (meine Nichte), die kann sich dann mal freuen.“

Danach lagen auch für das OLG genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass die Erblasserin ihre Nichte mit den beiden „Vollmachten“ tatsächlich letztwillig in Form von Vermächtnissen bedenken wollte.

Die beklagte Schwester der Erblasserin musste als Miterbin ihrer Nichte mithin ebenfalls einen Betrag in Höhe von über 31.000 Euro bezahlen.

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