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Nach Errichtung des Testaments erwirbt die Erblasserin beträchtliches Vermögen – Gilt das Testament noch?

Von: Dr. Georg Weißenfels

BGH – Beschluss vom 12.07.2017 – IV ZB 15/16

  • Erblasserin errichtet im Jahr 2007 ein Testament
  • Im Jahr 2015 erwirbt die Erblasserin beträchtliche Vermögenswerte und ändert ihr Testament nicht
  • Gesetzliche und testamentarische Erben streiten um die Erbschaft

Der Bundesgerichtshof hatte in dritter Instanz einen Fall zu beurteilen, bei dem eine Erblasserin nach Errichtung ihres Testaments beträchtliche Vermögenswerte erwarb.

Gilt das alte Testament noch für die Regelung der Erbfolge?

Nach dem Eintritt des Erbfalls entbrannte ein Streit über die Frage, ob für die Verteilung des Nachlasses das alte Testament geltend kann, das noch vor dem Vermögenserwerb der Erblasserin verfasst worden war.

In der Angelegenheit war die verwitwete Erblasserin am 11.10.2015 verstorben. Die Erblasserin hinterließ keine Kinder.

Am 03.09.2007 hatte die Erblasserin ein privates Testament errichtet.

Darin verfügte die Erblasserin wie folgt:

  • Dem Lebensgefährten sollte ein lebenslanges Nutzungsrecht am Haus der Erblasserin zustehen.
  • Nach dem Tod des Lebensgefährten soll das Haus an die Nichte des vorverstorbenen Ehemannes übergehen.
  • Vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollen für Beerdigung und Grabpflege verwendet werden.
  • Schmuck soll an die Schwägerin gehen. Hier habe die Nichte des vorverstorbenen Ehemannes aber ein Einbehaltsrecht.

Am 04.06.2015 verstarb ein Bekannter des vorverstorbenen Ehemannes und hinterließ der Erblasserin ein beträchtliches Vermögen.

Erblasserin ändert ihr Testament nicht

Trotz dieser erheblichen Änderung ihres Vermögensbestandes änderte die Erblasserin ihr Testament nicht und verstarb selber wenige Monate später.

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte die Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin beim Nachlassgericht einen Erbschein, der sie als alleinige Erbin kraft testamentarischer Erbfolge ausweisen sollte.

Der Bruder der Erblasserin sah dies komplett anders und beantragte einen Erbschein auf Grundlage gesetzlicher Erbfolge.

Nachlassgericht gibt der Testamentserbin Recht

Das Nachlassgericht gab in erster Instanz der Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin Recht und wies den Erbscheinsantrag des Bruders zurück.

Hiergegen legte der Bruder Beschwerde zum Oberlandesgericht ein. Das OLG entschied daraufhin, dass auch der Erbscheinsantrag der Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin unbegründet und zurückzuweisen sei.

Gegen diese Entscheidung des OLG legten sowohl die Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin als auch der Bruder der Erblasserin Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof ein.

BGH hebt Entscheidung des OLG auf

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde der Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin statt und hob die Entscheidung des OLG insoweit auf, als der Erbscheinsantrag der Beschwerdeführerin vom OLG zurückgewiesen wurde.

In der Begründung seiner Entscheidung wies der BGH darauf hin, dass die vom OLG angeführte Begründung für die Zurückweisung des Erbscheinsantrag der Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin nicht tragfähig sei.

Der vom OLG vorgenommenen Testamentsauslegung würden, so der BGH, „unzureichende Feststellungen tatsächlicher Art zugrunde liegen“. Weiter habe das OLG „anerkannte Auslegungsregeln nicht beachtet“

Der BGH monierte, dass sich der Entscheidung des OLG bereits nicht entnehmen lasse, ob das Testament der Erblasserin überhaupt eine planwidrige Regelungslücke aufweise. Eine solche Regelungslücke sei aber Voraussetzung für eine – vom OLG vorgenommene – ergänzende Auslegung des Testaments.

Nichtberücksichtigung von Vermögenswerten macht Testament nicht lückenhaft

Insbesondere mache, so der BGH, der Umstand, dass die Erblasserin in ihrem Testament das zeitlich später erworbene Vermögen nicht berücksichtigen konnte, das Testament nicht per se lückenhaft.

Vielmehr sei zu ermitteln, ob die Erbfolgeregelung in dem Testament „nach dem Regelungsplan des Erblassers auch einen nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb erfassen sollte.“

Diese Prüfung sei „von der Frage zu trennen, ob sich durch den späteren Vermögenszufluss an der Erbeinsetzung, die in der Zuwendung von Vermögensstücken zu erblicken ist, selbst etwas ändert.“

Das OLG habe, so der BGH, gar nicht festgestellt, ob das Testament der Erblasserin überhaupt eine Regelungslücke aufweise.

Selbst wenn aber eine Regelungslücke in dem Testament bejaht werden kann, müsse jedenfalls „ein hypothetischer Wille der Erblasserin ermittelt werden …, anhand dessen die vorhandene Lücke geschlossen werden könnte.“ Auch hierzu war dem Beschluss des OLG nichts zu entnehmen.

Wie identifiziert man einen Erben?

Weiter wies der BGH darauf hin, dass es wesentlich darauf ankomme, ob die Erblasserin die Nichte ihres vorverstorbenen Ehemannes in ihrem Testament als alleinige Erbin habe einsetzen wollen.

Dabei könne die Zuwendung des Hausgrundstücks an die Nichte ihres Ehemannes durchaus im Sinne einer Erbeinsetzung verstanden werden.

Es komme aber bei der Entscheidung, ob eine Person in einem Testament als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, „wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten zählen, zu tilgen hat und ob der Bedachte unmittelbare Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll.“

Unter anderem zu diesen Fragen fehlten dem BGH aber tatsächliche Feststellungen zum Sachverhalt.

Die Angelegenheit wurde daher zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das OLG zurück verwiesen.

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