Ein Motivirrtum des Erblassers berechtigt zur Anfechtung des Testaments

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Wenn sich der Erblasser geirrt hat, kann man ein Testament anfechten
  • Vor einer Anfechtung ist immer eine Auslegung des Testaments zu prüfen
  • Geht die Anfechtung durch, dann ist das Testament unwirksam

Die Testierfreiheit ist im deutschen Erbrecht ein hohes Gut.

Danach hat der Erblasser grundsätzlich jederzeit das Recht, seine Erbfolge abweichend vom Gesetz in einem Testament oder in einem Erbvertrag zu regeln.

Sein in einem Testament zu Papier gebrachter Wille entscheidet dann darüber, wie sein Vermögen nach dem Ableben des Erblassers aufgeteilt wird und wer Erbe werden soll.

Der unbeeinflusste Wille des Erblassers soll entscheiden

Um die Freiheit des Erblasserwillens zu schützen, sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, ein Testament nach Eintritt des Erbfalls anzufechten, wenn der Erblasserwille sich in dem Testament nicht irrtumsfrei oder nicht frei von äußeren Zwängen abgebildet hat.

So ist eine Anfechtung eines Testaments zum Beispiel möglich, wenn der Erblasser durch eine von Dritter Seite ausgesprochene Drohung zur Abfassung seines letzten Willens gebracht wurde, § 2078 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), wenn der Erblasser gar keinen letzten Willen verfassen wollte, § 2078 Abs. 1 BGB, oder wenn der Erblasser aus Versehen einen zum Zeitpunkt des Erbfalls lebenden Pflichtteilsberechtigten in seinem Testament übergangen hat, § 2079 BGB.

Motivirrtum berechtigt zur Anfechtung des Testaments

Der wohl schillerndste Anfechtungsgrund, der Hinterbliebene zur Anfechtung eines Testaments berechtigt, versteckt sich aber in § 2078 Abs. 2 BGB.

Danach kann ein Testament dann angefochten werden, wenn der Erblasser zur Errichtung des Testaments "durch die irrige Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands" bewegt wurde.

Juristen sprechen bei diesem Anfechtungsgrund von einem so genannten Motivirrtum, in dem sich der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung seines letzten Willens befunden haben muss.

Natürlich ist kein Gericht in Deutschland in der Lage, alleine anhand der abstrakten Formulierung "irrige Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands" auf den ersten Blick zu entscheiden, ob im Einzelfall ein Umstand vorliegt, der zur Anfechtung eines Testaments aufgrund eines Motivirrtums berechtigt.

Gerichte sind im Streitfall vielmehr darauf angewiesen, umfangreiche Fachkommentare und zu der Problematik ergangene Rechtsprechung zu konsultieren, um sich dem Motivirrtum zu nähern.

Eine Auslegung des Testaments ist immer vorrangig

Dabei ist bei Anfechtung eines Testaments immer zu beachten, dass vorrangig immer die Möglichkeit der Auslegung des Testaments zu prüfen ist. Wenn es gelingt, den wahren Willen des Erblassers durch eine Auslegung des Testaments zu ermitteln, dann ist für eine Anfechtung kein Raum.

Dieser Grundsatz erklärt sich durch das gesetzgeberische Ziel, dem wirklichen Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Das, was sich der Erblasser zur Regelung seiner Erbfolge im Zeitpunkt der Errichtung seines Testaments vorgestellt hat, soll umgesetzt werden.

Wenn dieser Wille des Erblassers ermittelbar ist und im Testament zumindest ansatzweise Anklang gefunden hat, dann besteht keine Veranlassung, das Testament in seiner Gänze durch eine Anfechtung unwirksam zu machen.

Vorstellungen des Erblassers stimmen nicht mit der Wirklichkeit überein

Wenn eine Auslegung des Testaments aber zu keinem Ergebnis führt, ist bei Vorliegen eines Motivirrtums grundsätzlich der Weg zu einer Anfechtung frei.

Der Motivirrtum setzt nach dem Wortlaut in § 2078 Abs. 2 BGB voraus, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Abfassung seines Testaments eine "irrige Erwartung (hinsichtlich) des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands" hatte.

Verständlicher ausgedrückt bedeutet dies, dass die Vorstellungen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung von der Lebenswirklichkeit abweichen.

Diese Vorstellungen des Erblassers können dabei sowohl Umstände betreffen, die sich zeitlich vor der Testamentserrichtung abgespielt haben als auch Umstände, die erst nach der Abfassung des letzten Willens eingetreten sind.

Was gilt, wenn sich der Erblasser gar keine Gedanken gemacht hat?

Kritisch ist immer wieder die Konstellation, dass sich der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung seines Testaments über einen bestimmten Umstand gar keine Gedanken gemacht hat, sondern diese Umstände gleichsam als selbstverständlich unterstellt hat.

Die Gerichte neigen dazu, auch solche unbewussten Vorstellungen und damit "unbewusste Irrtümer" als Anfechtungsgrund nach § 2078 Abs. 2 BGB zuzulassen.

Als Anfechtungsgrund für einen Motivirrtum kommen danach nahezu jegliche Fehlvorstellungen des Erblassers über einen für die Abfassung seines Testaments relevanten Irrtum in Betracht.

Entscheidend ist, dass der Irrtum, dem der Erblasser aufgesessen ist, kausal, d.h. ursächlich für die in seinem Testament aufgenommenen Regelungen war.

Maßgeblicher Zeitpunkt: Die Testamentserrichtung

Weiter muss derjenige, der die Anfechtung des Testaments erklärt, immer vortragen und beweisen, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine bestimmte Vorstellung hatte und sich diese Vorstellung im Nachhinein als irrtumsbehaftet herausgestellt hat.

Vorstellungen des Erblassers, die dieser erst nach der Errichtung seines Testaments gebildet hat, sind für eine Anfechtung irrelevant.

Beispiele für einen zur Anfechtung berechtigenden Motivirrtum

Die Gründe, die einen zur Anfechtung berechtigenden Motivirrtum nach § 2078 Abs. 2 BGB darstellen können, sind so bunt wie das Leben selber.

Folgende Beispielsfälle können einen Eindruck davon verschaffen, unter welchen Umständen eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB in Frage kommt:

Erblasser setzt den A in seinem Testament in dem festen Glauben als Erben ein, der A wäre sein leiblicher Sohn. Später stellt sich heraus, dass der A nicht vom Erblasser abstammt.

Erblasser setzt den B ein, weil er glaubt, dass dieser mittellos ist. In Wahrheit ist der B Millionär.

Erblasser setzt die C ein, weil er davon ausgeht, dass die C ihn bis zu seinem Lebensende begleitet und pflegt. Einen Tag nach Abfassung des Testaments verlässt die C den Erblasser.

Erblasser setzt den D als Erben ein, weil er davon überzeugt ist, dass der D sein Jurastudium erfolgreich absolvieren wird. Der D legt sein Studium noch im ersten Semester nieder und beginnt eine Schreinerlehre.

Erblasser setzt die E als Erbin ein, weil er davon ausgeht, dass die E den Sohn des Erblassers heiratet. Tatsächlich heiratet die E einen anderen Mann.

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