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Wann beginnt die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB bei Schenkungen des Erblassers zu laufen?

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Es kommt für die Berechnung der Frist auf die Durchführung der Schenkung an
  • Besonderheiten bei Schenkungen unter Eheleuten
  • Behält sich der Schenker Rechte vor, muss man eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anstellen

Der Pflichtteilsanspruch soll dem nahen Verwandten oder Ehegatten des Erblassers, der vom Erblasser von der Erbfolge ausgeschlossenen wurde, eine Mindestbeteiligung am Nachlass garantieren.

Der Pflichtteilsberechtigte kann sich nach Eintritt des Erbfalls an den Erben wenden und von diesem eine Geldsumme fordern, die der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils entspricht, § 2303 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).

Damit der Erblasser in Anbetracht des kaum vermeidbaren Pflichtteilsanspruchs nicht auf die Idee verfällt, sein Vermögen bereits zu Lebzeiten durch Schenkungen an Dritte derart zu schmälern, dass im Erbfall nicht mehr viel übrig ist und der Pflichtteilsanspruch entsprechend dürftig ausfällt, hat das Gesetz in § 2325 BGB für den Erblasser eine Bremse eingebaut.

Lebzeitige Schenkungen des Erblassers können zu einer Aufbesserung des Pflichtteils sorgen

Nach § 2325 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte nämlich eine Aufbesserung seines Pflichtteils verlangen, wenn der Erblasser sein Vermögen während der letzten zehn Jahre vor dem Eintritt des Erbfalls durch eine Schenkung geschmälert hat.

Der Pflichtteilsanspruch bemisst sich in diesem Fall nicht nur nach dem im Erbfall tatsächlich vorhandenen Nachlass, sondern die Schenkungen werden nach einem in § 2325 Abs. 3 BGB beschriebenen Muster dem tatsächlich vorhandenen Nachlass fiktiv hinzugerechnet.

Dem Grunde nach gilt: Je mehr Vermögen der Erblasser während der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall verschenkt hat, desto höher fällt der Pflichtteilsanspruch aus.

Wann beginnt die Zehnjahresfrist für die Pflichtteilsergänzung?

Die Frage, wann die Zehnjahresfrist für Schenkungen des Erblassers zu laufen beginnt, ist in § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB auf den ersten Blick deutlich geklärt. Nach dieser gesetzlichen Norm gilt nämlich folgendes:

Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt.

Danach kommt es für Schenkungen demnach grundsätzlich auf die Leistung des verschenkten Gegenstandes an.

Für einfache Fälle bedeutet diese Festlegung im Gesetz: Liegen zwischen Schenkung und Erbfall mehr als zehn Jahre, bleibt die Schenkung für die Pflichtteilsergänzung unberücksichtigt.

Nachdem das Leben aber nur selten einfache Sachverhalte bietet, unterliegt diese eigentlich simple Zehn-Jahres-Regel im Einzelfall einem erheblichen Interpretationsspielraum.

Ausnahme: Schenkungen unter Eheleuten

Die Zehn-Jahres-Regel in § 2325 BGB wird bereits dann aufgehoben, wenn der Erblasser seinem Ehegatten eine Schenkung gemacht hat. Nach § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB gilt für solche Schenkungen nämlich folgendes:

Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe.

Schenkungen unter Eheleuten führen demnach nahezu immer zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch. Solange sich die Eheleute nicht scheiden lassen, kann auch eine Schenkung des Erblassers an seinen Ehegatten, die bereits zwanzig oder noch mehr Jahre zurückliegt, zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch führen.

Was bedeutet „Leistung“?

Wesentlich schillernder wird die Rechtslage aber, wenn man sich mit dem Begriff der „Leistung“ in § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB näher beschäftigt. Die Zehn-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung sollen ja ab der „Leistung des verschenkten Gegenstandes“ berechnet werden.

Über die Frage, wann ein Geschenk aber im Sinne dieser Norm „geleistet“ wurde, kann man sich im Einzelfall trefflich streiten.

Der Zeitpunkt der Leistung einer Schenkung ist nämlich nicht in allen Fällen so klar, wie man dies annehmen würde.

Schenkung einer Immobilie unter Vorbehalt des Nießbrauchs

Hat der Erblasser zum Beispiel seiner Freundin ein Wohngrundstück geschenkt, sich aber an diesem Wohngrundstück ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vorbehalten, dann gehört die Immobilie rechtlich zwar der Freundin des Erblassers, wirtschaftlich erleidet der Erblasser und Schenker aber bis zu seinem Ableben keinerlei Einschränkungen. Er kann die Immobilie bis zuletzt wirtschaftlich voll nutzen.

Oder was soll bei Lebensversicherungen gelten, bei denen der Erblasser seiner Lebensgefährtin ein Bezugsrecht eingeräumt hat? Soll man hier für die „Leistung des verschenkten Gegenstandes“ auf den Abschluss des Versicherungsvertrages, auf die Zahlung einer jeden einzelnen Versicherungsprämie durch den Erblasser oder auf die Auszahlung der Versicherungsprämie an die Lebensgefährtin im Erbfall abstellen?

Je nach Betrachtungsweise können hier im Einzelfall krass unterschiedliche Summen für die Pflichtteilsergänzung anstehen.

BGH stellt eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an

Die Rechtsprechung hat sich bereits wiederholt mit der Frage auseinandersetzen müssen, wann eine Schenkung im Sinne von § 2325 BGB „geleistet“ ist.

Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1986 (Az.: IVa ZR 13/85) die Frage, ob man bei § 2325 BGB auf die Leistungshandlung des Erblassers oder den Eintritt des Leistungserfolges beim Beschenkten abstellen muss, durch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gelöst.

Danach sollen nach BGH bei der „Bemessung des außerordentlichen Pflichtteils nur solche Schenkungen des Erblassers (ausgenommen werden), deren Folgen er selbst längere Zeit hindurch zu tragen, in die er und seine Familie sich daher einzugewöhnen hatten und die deshalb und dadurch eine (gewisse) Sicherheit vor solchen Benachteiligungen der Pflichtteilsberechtigten bieten, die nicht von guten Gründen getragen sind.“

Im Ergebnis stellt der BGH also darauf ab, dass eine Schenkung erst dann geleistet ist und die Zehn-Jahres-Frist des § 2325 BGB auch erst dann zu laufen beginnt, wenn der verschenkte Gegenstand wirtschaftlich nicht mehr vom Erblasser und Schenker genutzt werden kann und der „Schenker den Genuss des verschenkten Gegenstandes“ tatsächlich entbehren muss.

Dass bei einer solchen eher offenen Interpretation des Leistungsbegriffs im Einzelfall ein enormer Interpretationsspielraum gegeben ist, liegt auf der Hand.

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