Wann führen Schenkungen des Erblassers nicht zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Lange zurück liegende Schenkungen können aus der Pflichtteilsergänzung herausfallen
  • Anstandsschenkungen des Erblassers sind nicht ergänzungspflichtig
  • Auch wertvolle Geschenke können eine Anstandsschenkung darstellen

§ 2325 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) kann für einen Pflichtteilsberechtigten im wahrsten Sinne des Wortes Gold Wert sein.

Nach § 2325 BGB soll nämlich verhindert werden, dass ein Erblasser den Pflichtteilsanspruch eines nahen Angehörigen dadurch entwertet, dass er noch zu Lebzeiten sein Vermögen durch Schenkungen an Dritte so weit dezimiert, dass am Ende ein nur noch wirtschaftlich minderwertiger oder sogar ganz entwerteter Nachlass vorhanden ist.

Nachdem sich der Pflichtteilsanspruch aus dem Wert des bei Erbfall vorhandenen Nachlasses bemisst, könnte der Erblasser durch lebzeitige Schenkungen einen dem Grunde nach unentziehbaren Pflichtteilsanspruch des Pflichtteilsberechtigten nahezu oder sogar ganz wirtschaftlich entwerten.

Pflichtteilsergänzung schützt den Pflichtteilsberechtigten

Damit dies nicht passiert, sehen die §§ 2325 ff. BGB zugunsten des Pflichtteilsberechtigten einen so genannten Pflichtteilsergänzungsanspruch vor. Der Erbe muss dem Pflichtteilsberechtigten nach § 2314 BGB Auskunft über Schenkungen geben, die vom Erblasser während der letzten zehn Jahre an Dritte gemacht wurden.

Hat der Erblasser während der letzten zehn Jahre eine Schenkung an einen Dritten vorgenommen und sein Vermögen auf diesem Weg im Wert geschmälert, so kann der Pflichtteilsberechtigte dem Grunde nach einen Anspruch gegen den Erben auf einen so genannten Ergänzungsanspruch geltend machen.

Der Wert der Schenkung wird – fiktiv – dem Nachlass hinzugerechnet und auf Basis dieses aufgebesserten Nachlasswertes errechnet sich dann der Pflichtteilsanspruch des Berechtigten.

Mit welchem Wert werden Schenkungen des Erblassers berücksichtigt?

Schenkungen, die im ersten Jahr vor dem Erbfall gemacht wurde, kommen dabei mit ihrem vollen Wert zum Ansatz.

Mit jedem Jahr bis zum 10. Jahr vor der Schenkung wird jeweils 10% vom Wert der Schenkung abgezogen, wird also auch nur ein so verminderter Wert dem Ergänzungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten zugrunde gelegt. Schenkungen, die vom Erblasser 10 Jahre vor dem Erbfall getätigt wurden, bleiben beim Ergänzungsanspruch nach § 2325 BGB dann schließlich vollkommen unberücksichtigt.

Schenkungen des Erblassers an seinen Ehepartner unterliegen besonderen Regeln. Hier läuft die Zehnjahresfrist nicht vor der Auflösung der Ehe, z.B. durch Scheidung.

Schenkungen des Erblassers an sonstige Personen außer den Ehegatten, die länger als zehn Jahre zurückliegen, bleiben beim Pflichtteilsanspruch also grundsätzlich unberücksichtigt.

Anstandsschenkungen führen nicht zu einem Anspruch auf Pflichtteilsergänzung

Ein Ergänzungsanspruch fällt für den Pflichtteilsberechtigten aber nach § 2330 BGB auch dann aus, wenn es sich bei der Zuwendung durch den Erblasser um eine so genannte Anstandsschenkung gehandelt hat oder durch die Schenkung einer „sittlichen Pflicht“ entsprochen wurde.

Anstandsschenkungen sollen nach der Rechtsprechung solche Zuwendungen sein, die der Erblasser einem Dritten aus einem besonderen Anlass (z.B. Geburtstag, Weihnachten, Hochzeitsgeschenke) gemacht hat.

Eine wertmäßige Obergrenze gibt es für Anstandsschenkungen nicht. Im Streitfall ist hier entscheidend das konkrete soziale Umfeld des Schenkers und ein Vergleich mit den üblichen Gepflogenheiten von sozial dem Schenker ähnlich gestellten Zeitgenossen.

So werden beispielsweise Geburtstagsgeschenke im Hause Maschmeyer gänzlich anders ausfallen und als Anstandsschenkung im Sinne von § 2330 BGB zu qualifizieren sein, als bei einem der rund 1,3 Millionen Bezieher von Hartz 4, die die staatliche Hilfe trotz Bestehens einer Vollzeitbeschäftigung benötigen.

Der dehnbare Begriff der "sittlichen Pflicht"

Neben – ergänzungsfreien – Anstandsschenkungen spricht der § 2330 BGB weiter von Schenkungen, mit denen der Schenker (und spätere Erblasser) einer „sittlichen Pflicht“ entspricht.

Der Bundesgerichtshof nimmt eine solche „sittliche Pflicht“ für eine Schenkung an, wenn das „Unterbleiben der Schenkung dem Erblasser als Verletzung seiner sittlichen Pflicht“ anzulasten wäre. Nachdem es aber auch Pflicht des Erblassers ist, den Pflichtteilsanspruch nicht wirtschaftlich zu entwerten, wird im Streitfall in dieser Frage immer eine Abwägung der Interessen aller Beteiligter vorzunehmen sein.

Entscheidend sind vor allem die Motivation des Erblassers für die Schenkung, der Zeitpunkt der Schenkung sowie die konkreten Beziehungen der Beteiligten zueinander.

So wurden von den Gerichten in der Vergangenheit als – ergänzungsfreie – Pflichtschenkungen im Sinne von § 2330 BGB beispielsweise Zuwendungen zur Existenzsicherung des Beschenkten oder als Dank an Pflegepersonen eingestuft. Entscheidend sind hier immer die Umstände des Einzelfalls.

Der Erbe hat dabei im Streitfall die Beweislast für das Vorliegen einer Anstands- oder Pflichtschenkung.

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