Pflichtteil ist ausbezahlt – Danach tauchen neues Vermögen oder neue Schulden auf

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Für den Pflichtteil ist die Zusammensetzung und der Wert des Erblasservermögens zum Todestag entscheidend
  • Taucht nach Jahren neues Vermögen auf, ist der Pflichtteil oft schon verjährt
  • Rückforderungsansprüche des Erben sind einfacher durchsetzbar

Nach § 2311 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) wird der Berechnung des Pflichtteils „der Bestand und der Wert“ des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls zugrunde gelegt.

Welcher Betrag dem Pflichtteilsberechtigten demnach zusteht, richtet sich nach einem strengen Stichtagsprinzip.

Am Tag des Ablebens des Erblassers wird für die Berechnung des Pflichtteils ein Schlussstrich gezogen und das vorhandene positive wie negative Vermögen einer Bewertung unterzogen. An dem so ermittelten Ergebnis ist der Pflichtteilsberechtigte mit der ihm zustehenden Pflichtteilsquote zu beteiligen.

Die Feststellung der Grundlage für einen Pflichtteilsanspruch läuft in der Regel mal mehr, mal weniger zäh ab, führt aber in der weit überwiegenden Zahl der Fälle zu einem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis. Am Ende der Tage einigen sich Erbe und Pflichtteilsberechtigter meistens auf die im Rahmen des § 2303 BGB anzusetzenden Vermögenswerte und der Pflichtteil wird auf dieser Grundlage ausgezahlt.

In einigen wenigen Fällen kommt es aber nach Auszahlung des Pflichtteils zu erheblichen Verstimmungen. Dies passiert immer dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die von beiden Seiten angenommene Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil unzutreffend ist.

Wertschwankungen nach dem Stichtag sind hinzunehmen

Dabei geht es in diesen Fällen ausdrücklich nicht um Veränderungen des Wertes, die einzelne Vermögensgegenstände in dem Zeitraum zwischen Erbfall und tatsächlicher Auszahlung des Pflichtteils erfahren. Solche Wertveränderungen haben sowohl Pflichtteilsberechtigter als auch Erbe grundsätzlich hinzunehmen und sie führen nicht zu einer Anpassung des Pflichtteilanspruchs nach oben oder unten.

Hatte also beispielsweise ein im Nachlass befindliches Aktiendepot zum maßgeblichen Zeitpunkt des Todestags des Erblassers einen Wert von 1 Mio. Euro, dann ist dies die Grundlage für die Berechnung und Auszahlung des Pflichtteils. Es ist unerheblich, ob die Aktien zum Zeitpunkt der Auszahlung des Pflichtteils Wochen nach dem Erbfall massiv an Wert gewonnen oder verloren haben.

Neues Vermögen oder neue Schulden tauchen auf

Ganz anders ist die Rechtslage allerdings, wenn nach Auszahlung des Pflichtteilanspruchs plötzlich neues Nachlassvermögen oder neue Nachlassverbindlichkeiten bekannt werden. Pflichtteilsberechtigte und Erbe stellen also nach erfolgter Regulierung des Pflichtteils fest, dass der Pflichtteilsberechtigte in dem einen Fall zu wenig bekommen und der Erbe in dem anderen Fall zu viel bezahlt hat.

In beiden Fällen ist eine Korrektur grundsätzlich möglich. Wenn die Berechnung des Pflichtteils offensichtlich unzutreffend war, da der tatsächliche Wert des Nachlasses im Sinne von § 2311 BGB höher oder niedriger war, dann können Pflichtteilsberechtigter bzw. Erbe an die jeweils andere Seite herantreten und das zuwenig bzw. zuviel bezahlte Delta fordern.

Tatsächliche Grenze: Die Verjährung

Solchen nachträglichen Zahlungsforderungen des Pflichtteilsberechtigten setzt das Gesetz allerdings eine recht kurze zeitliche Grenze.

Die Regelverjährungsfrist für Pflichtteilsansprüche beträgt drei Jahre. Taucht weiteres Erblasservermögen nach Ablauf dieser Verjährungsfrist auf, ist der Erbe grundsätzlich aus dem Schneider.

Dies umso mehr, als der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Januar 2013 entschieden hat, dass die dreijährige Verjährungsfrist tatsächlich mit dem Erbfall und nicht mit der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von dem neuen Vermögen zu laufen beginnt (BGH, Urteil vom 16.01.2013, IV ZR 232/12).

Anders dürfte freilich zu entscheiden sein, wenn der Erbe gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten vorhandenes Erblasservermögen bewusst verschwiegen hat. In diesem Fall ist eine Berufung des Erben auf die Verjährung des Pflichtteilanspruchs wohl treuwidrig.

Der Erbe kann sich länger Zeit lassen

Für den Erben dürfte eine Rückforderung von zuviel gezahltem Pflichtteil bei neu aufgetauchten Nachlassverbindlichkeiten zeitlich entspannter möglich sein. Zwar verjährt auch ein Rückforderungsanspruch nach § 812 BGB innerhalb von drei Jahren. Die Frist beginnt aber erst in dem Augenblick, in dem der Erbe von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, § 199 BGB.

Soweit der Erbe also von den neuen Schulden ebenso wie der Pflichtteilsberechtigte überrascht wurde, dürfte eine Rückforderung von zuviel gezahltem Pflichtteil auch noch nach Jahren durchsetzbar sein.

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