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Wie bestimmt sich der Nachlasswert für den Pflichtteilsanspruch?

Von: Dr. Georg Weißenfels

BGH - Beschluss vom 08.04.2015 - IV ZR 150/14

  • Für ein Nachlassgrundstück liegen mehrere voneinander abweichende Wertgutachten vor
  • Gericht will für den Pflichtteil lediglich den tatsächlichen Verkaufspreis ansetzen
  • BGH korrigiert die Entscheidung des Kammergerichts

Der Bundesgerichtshof hatte im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde über die Frage zu befinden, nach welchen Grundsätzen sich der Nachlasswert im Rahmen der Berechnung des Pflichtteils bestimmt.

Der Kläger in dem Verfahren machte Pflichtteilsansprüche geltend. Beklagter war der Insolvenzverwalter über den Nachlass der Erblasserin.

Die Erblasserin hatte den pflichtteilsberechtigten Kläger in ihrem Testament von der Erbfolge ausgeschlossen und Testamentsvollstreckung angeordnet.

Nachdem die Erblasserin am 09.10.2006 verstorben war, machte der Kläger seinen Pflichtteil geltend.

Nachlassimmobilie wird unter Wert veräußert

Zum Nachlass gehörte ein in Berlin gelegenes Grundstück. Der Wert dieses Grundstücks war in dem Nachlassverfahren von einem Gutachter auf 2 Mio. Euro taxiert worden. Im Oktober 2008 veräußerte der Testamentsvollstrecker die Immobilie allerdings für einen Preis in Höhe von lediglich 1,31 Mio. Euro.

Dieser Wert war von einem weiteren Gutachter als angemessener Kaufpreis ermittelt worden.

Im Laufe des Rechtsstreits waren zur Frage des Grundstückswertes zwei weitere Gutachten eingeholt worden. Eines dieser Gutachten bezifferte den Wert auf 2,1 Mio. Euro, das andere kam auf einen Betrag in Höhe von 1,38 Mio. Euro.

Pflichtteilsanspruch wird zur Insolvenztabelle angemeldet

Im Mai 2010 wurde das Insolvenzverfahren über den Nachlass der Erblasserin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger und Pflichtteilsberechtigte meldete beim Insolvenzverwalter seine Pflichtteilsansprüche mit einem Betrag in Höhe von 9.885.571,51 Euro zur Insolvenztabelle an. Die Ansprüche wurden vom Insolvenzverwalter zunächst komplett bestritten.

Der Pflichtteilsberechtigte zog daraufhin vor Gericht und erstritt vor dem Landgericht ein Urteil, wonach der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, den Pflichtteilsanspruch mit einem Betrag in Höhe von 9.113.099,65 Euro zur Insolvenztabelle anzuerkennen.

Gegen dieses Urteil legte der Insolvenzverwalter Berufung ein. Das Kammergericht Berlin änderte das erstinstanzielle Urteil dahingehend ab, dass Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten lediglich in Höhe eines Betrages von 8.457.569,19 Euro berechtigt und zur Tabelle festzustellen seien.

Kammergericht stellt auf den Verkaufspreis der Immobilie ab

Maßgebend für das Berufungsurteil war, dass das Kammergericht den Wert der bereits verkauften Nachlassimmobilie mit dem seinerzeit erzielten Veräußerungserlös festsetzte.

Mit diesem Urteilsspruch war aber der Pflichtteilsberechtigte nicht einverstanden. Er war der Meinung, dass das Grundstück unter Wert verkauft worden war. Mit dem Ziel einen weiteren Betrag in Höhe von 346.621,01 zur Tabelle feststellen zu lassen, erhob er gegen das Urteil des Kammergerichts Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der BGH ließ die Revision zu und hob das Urteil des Kammergerichts auf.

In der Begründung seiner Entscheidung wies der BGH darauf hin, dass das Kammergericht zwar zutreffend von der Regelung des § 2311 BGB ausgegangen sei, wonach bei der Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt werden muss.

Grundsätzliche Orientierung am Verkaufspreis ist in Ordnung

Abzustellen sei bei der Ermittlung des Nachlasswertes auf den so genannten gemeinen Wert des Nachlasses, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspreche. Hierbei müsse sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert werden, von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren.

Ein tatsächlich für einen bestimmten Nachlassgegenstand erzielter Kaufpreis sei immer ein wesentlicher Anhaltspunkt im Rahmen der Ermittlung des Verkehrswertes des Nachlassgegenstandes. Auf den Verkaufserlös könne grundsätzlich auch dann abgestellt werden, wenn zwischen Erbfall und Veräußerung ein längerer Zeitraum liegt.

Vorliegend hätte das Berufungsgericht aber nach Auffassung des BGH zur Ermittlung des Verkehrswertes nicht alleine auf den Veräußerungserlös der Immobilie abstellen dürfen, da der pflichtteilsberechtigte Kläger ausreichend Tatsachen für seine Behauptung vorgetragen habe, wonach der Verkaufserlös des Grundstücks im zu entscheidenden Fall eben nicht dem Verkehrswert entspreche.

Gericht muss alle Gutachten in seine Erwägung einbeziehen

Der pflichtteilsberechtigte Kläger hatte dem Berufungsgericht die Gutachten vorgelegt, aus denen sich ein Grundstückswert zum Zeitpunkt des Erbfalls in Höhe von 2 Mio. Euro ergab. Das Berufungsgericht durfte sich, so der BGH, über diesen Vortrag des Klägers nicht ohne weiteres hinwegsetzen.

Bei mehreren sich widersprechenden Gutachten könne ein Gericht einen Rechtsstreit nicht dadurch entscheiden, dass es "ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung" einem der Gutachten den Vorzug gibt.

Das Berufungsgericht hatte danach in einem zweiten Anlauf den objektive Wert des Nachlasses und insbesondere der fraglichen Nachlassimmobilie im Zeitpunkt des Erbfalles zu ermitteln.

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