Erben haben Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakte des Erblassers

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Gesetzlicher Anspruch für die Erben des Erblassers auf Einsicht in die Krankenakte
  • Welche Gründe können einer Einsichtnahme entgegenstehen?
  • Welche Rolle spielt die ärztliche Schweigepflicht?

Am 26.02.2013 ist ein neues „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ in Kraft getreten. Ziel der neuen Regeln war laut Gesetzesbegründung die Rechte der Patienten „transparent, rechtssicher und ausgewogen“ zu gestalten.

In dem neuen Gesetz wurde erstmals im deutschen Recht der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient kodifiziert. Weiter war erklärtes Ziel des neuen Gesetzes die Stärkung von Patientenrechten bei Behandlungsfehlern.

Die neuen Regeln zum Patientenrechtgesetz sind in den §§ 630a ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) aufgenommen worden. Für den Erbfall interessant ist der neue § 630g BGB, der Erben nach dem Tod des Erblassers einen Anspruch auf Einsicht in die Patientenakte des Erblassers verschafft. Der § 630g BGB lautet wie folgt:

Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakte

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§ 630g Einsichtnahme in die Patientenakte

 (1) Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. § 811 BGB ist entsprechend anzuwenden.

(2) Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.

(3) Im Fall des Todes des Patienten stehen die Rechte aus den Absätzen 1 und 2 zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen seinen Erben zu. Gleiches gilt für die nächsten Angehörigen des Patienten, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen. Die Rechte sind ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht.

Der Anspruch des Patienten und seiner Erben nach dem Tod des Patienten Einsicht in dessen Krankenakte zu nehmen, war grundsätzlich auch schon vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes gegeben. So sah beispielsweise auch bisher schon § 10 Abs. 2 MBO (Muster-Berufsordnung für Ärzte) ein Recht des Patienten auf Einsicht in seine Akte vor. Von den Gerichten wurde das Einsichtsrecht als vertragliche Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag bejaht.

Tatsächlich haben Auseinandersetzungen zwischen Erben und Angehörigen auf der einen Seite und behandelndem Arzt bzw. Krankenhaus auf der anderen Seite in der Vergangenheit bereits wiederholt die Gerichte beschäftigt. Man hat mit der Gesetzesformulierung in § 630g BGB zumindest zum Teil versucht, die Eckpunkte, die von den Gerichten in solchen Streitfällen definiert wurden, in die neue Regelung einfließen zu lassen.

Schadensersatzanspruch gegen den Arzt klären - War der Erblasser testierfähig?

Krankenakten eines Erblassers sind für Erben in den meisten Fällen aus zweierlei Gründen interessant:

Zum einen soll anhand der Krankenakten oft überprüft werden, ob die ärztliche Behandlung des Erblassers nach den Regeln der Kunst vonstatten gegangen ist oder möglicherweise ein Behandlungsfehler mit ursächlich für das Ableben des Erblassers war. Lässt sich anhand der Patientenakte ein Fehlverhalten des behandelnden Arztes nachweisen, schließen sich an den Streit um die Patientenakte meist Arzthaftungsansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld an.

Weiter sind Patientenakten für Erben oder Verwandte zuweilen zur Klärung der Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung seines letzten Willens relevant.

§ 630g BGB hat versucht, den Vorgaben der Rechtsprechung zum Einsichtsrecht von Erben in die Krankenakte des Erblassers gerecht zu werden. Dabei hat man aber – wie fast in jedem Gesetz – auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen, um den Regelungsinhalt näher zu beschreiben.

Wann kann dem Erben die Einsicht in die Patientenakte verweigert werden?

So soll ein Einsichtsrecht des Patienten und auch der Erben in die Krankenakte nach § 630g Abs. 1 BGB dann nicht gegeben sein, wenn der Einsicht „erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter“ entgegenstehen. Welche Gründe und Rechte dies im Einzelfall sind, verrät das Gesetz nicht und überlässt die Klärung dieser Frage den staatlichen Gerichten.

Ebenso ungeklärt ist noch, wer zum Kreis der „nächsten Verwandten“ gehört, denen neben den Erben unter Umständen ebenfalls ein Einsichtsrecht in die Krankenakte des Erblassers zusteht.

Von Ärzten wird insbesondere bei drohenden Arzthaftungsprozessen immer wieder die ärztliche Schweigepflicht ins Feld geführt, die einer Herausgabe der von den Erben geforderten Krankenakte im Wege stehen soll. Dieses Argument wird allerdings von den Gerichten nur in sehr eingeschränktem Umfang akzeptiert.

So hat beispielsweise der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 (Urteil vom 26.05.2011, Vf. 45-VI-10) zu diesem Problemkreis folgendes ausgeführt:

Die ärztliche Schweigepflicht steht einer Offenlegung der Behandlungsunterlagen nur dann entgegen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten fehlt und der Arzt bei gewissenhafter Prüfung aller Umstände – zu denen auch das Anliegen der die Einsicht begehrenden Personen gehört – zu dem Ergebnis kommt, dass der Verstorbene die vollständige oder teilweise Offenlegung der Krankenunterlagen gegenüber seinen Hinterbliebenen missbilligt hätte.


In der Regel steht danach dem Erben zur Überprüfung der Erfolgsaussichten eines Arzthaftungsprozesses das Einsichtsrecht in die Krankenakte des Erblassers dem Grunde nach zu.

Probleme ergeben sich in der Praxis manchmal, wenn Ärzte zum Nachweis der Erbenstellung bei den Betroffenen einen Erbschein anfordern.

Von der Ärzteverbänden wird ihren Mitgliedern diese Vorgehensweise empfohlen.

Gesetzliche Erben oder Erben, die nur mit einem privaten Testament ausgestattet sind, haben an dieser Stelle gegebenenfalls tatsächlich ein Nachweisproblem und müssen sich einen - kostenpflichtigen - Erbschein

besorgen.

Wenn man aber als Erbe in einem notariellen Testament bzw. Erbvertrag eingesetzt worden ist, sollte die Vorlage dieser Urkunde nebst Eröffnungsprotokoll ausreichen, um seine Erbenstellung gegenüber dem Arzt nachzuweisen, § 35 GBO analog.

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