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Wann kann der Staat für Ausgaben zur Jugendhilfe eine Erbschaft des Leistungsempfängers verwerten?

Von: Dr. Georg Weißenfels

BVerwG – Urteil vom 25.06.2015 – 5 C 12.14

  • Betroffene erhält staatliche Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch
  • Nach einer Erbschaft der Betroffenen will der Staat auf das Erbe zugreifen
  • In dritter Instanz wird der Zugriff des Staates vom Bundesverwaltungsgericht als nicht rechtmäßig abgelehnt

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in dritter Instanz darüber zu entscheiden, ob die staatlichen Sozialbehörden auf die Erbschaft einer Betroffenen zugreifen kann, die seit ihrem fünften Lebensjahr in einer Pflegefamilie lebte und hierfür Leistungen zur Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bzw. als Heimerziehung erhielt.

Die Klägerin in dem Verfahren war am 16.04.1992 geboren und erhielt seit ihrem fünften Lebensjahr staatliche Unterstützung. Vor ihrem 18. Geburtstag erhielt die Klägerin Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bzw. als Heimerziehung. Nach Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin wurden die Leistungen als Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII in Form von Heimerziehung fortgesetzt.

Im September 2006 erbte die Klägerin mehrere Immobilien. In dem zugrunde liegenden Testament war jedoch vom Erblasser eine Testamentsvollstreckung angeordnet worden. Nach den Bestimmungen des Testaments sollte diese Testamentsvollstreckung bis zum 21. Lebensjahr andauern, soweit ein Bedürfnis dafür besteht sogar bis zum 25. Lebensjahr der Klägerin. Für die Dauer der Testamentsvollstreckung konnte die Betroffene nicht über ihre Erbschaft verfügen.

Sozialbehörde versucht auf die Erbschaft zuzugreifen

Die Sozialbehörde nahm die Erbschaft der Betroffenen aber trotzdem zum Anlass, für die von ihr gewährte Hilfe durch Bescheid vom 05.11.2012 einen Kostenbeitrag in Höhe von 97.947,65 Euro bei der Betroffenen einzufordern. Der Bescheid der Behörde enthielt den Hinweis, dass der geforderte Betrag erst nach Ende der mit der Testamentsvollstreckung verbundenen Verfügungsbeschränkung im Jahr 2013 bzw. 2017 fällig sein würde.

Die Betroffene erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und nachfolgend Klage zum Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht wies die gegen den Bescheid gerichtete Klage in erster Instanz ab. Die gegen dieses Urteil zum Oberverwaltungsgericht eingelegte Berufung hatte Erfolg. In zweiter Instanz wurden das Urteil des Verwaltungsgerichts und auch der fragliche Bescheid aufgehoben.

Gegen dieses Urteil legte aber wiederum die Behörde Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein. Die Revision der Behörde wurde aber vom Bundesverwaltungsgericht als unbegründet zurückgewiesen.

Der Leistungsbescheid der Behörde war, so das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, rechtswidrig.

Bundesverwaltungsgericht lehnt den staatlichen Zugriff ab

In der Begründung des Urteils wies das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass Grundlage des Bescheides vom 05.11.2012 § 92 Abs. 1a i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 91 Abs. 1 Nr. 5b und 8 SGB VIII (Sozialgesetzbuch 8.Teil) sei. Danach könnten junge Volljährige aus ihrem Vermögen nach Maßgabe der §§ 90 und 91 SGB XII sowie des § 94 SGB VIII zu den Kosten der ihnen gewährten Hilfe für junge Volljährige herangezogen werden.

Die entscheidende Rechtsfrage in dem Verfahren war aber, ob die von der Klägerin gemachte Erbschaft im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB XII überhaupt verwertbar war. Im Ergebnis wurde diese Frage vom Bundesverwaltungsgericht verneint.

Bei der unter einer Testamentsvollstreckung stehenden Erbschaft handele es sich, so das Bundesverwaltungsgericht, nicht um verwertbares Vermögen im Sinne von § 92 Abs. 1a SGB VIII i.V.m. § 90 SGB XII.

Vermögen des Betroffenen sei dann durch die Behörden verwertbar, so das BVerwG, wenn der Vermögensinhaber über das Vermögen rechtlich verfügen dürfe und auch tatsächlich verfügen könne. Dabei könne die Verwertung des Vermögens alternativ durch Verbrauch, Verkauf oder Belastung der Vermögensgegenstände erfolgen. Hingegen sei Vermögen dann nicht verwertbar, wenn der Inhaber des Vermögens in der Verfügung beschränkt sei und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen könne.

Testamentsvollstreckung steht dem Zugriff des Staates entgegen

Weiter müsse das Vermögen des Betroffenen in zeitlicher Hinsicht „zwar nicht sofort, aber in angemessener, also absehbarer Zeit“ verwertbar sein.

Diese Voraussetzungen würden nur dann vorliegen, wenn „der Kostenbeitragspflichtige den wirtschaftlichen Wert des Vermögens innerhalb des Zeitraums realisieren kann, innerhalb dessen der jugendhilferechtliche Bedarf“ bestehe. Entscheidend sei im Jugendhilferecht, dass durch die Verwertung des Vermögens die entstandenen Kosten im Bewilligungszeitraum refinanziert werden können.

Vermögen, über das der Betroffene erst nach dem Bewilligungszeitraum verfügen könne, würde nur ausnahmsweise verwertbares Vermögen im Sinne von § 90 SGB XII darstellen. Voraussetzung sei, dass der Zeitpunkt der Verwertbarkeit feststehe und „der Zeitraum bis zum Eintritt der Verwertbarkeit in angemessenem zeitlichen Verhältnis zum Bewilligungszeitraum“ stehe.

An diesem Punkt ließ das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der Behörde scheitern. Der Zeitraum, bis zu dem die Betroffene selber auf die Erbschaft zugreifen und über sie verfügen könne, sei nicht als angemessen anzusehen. Der Zeitraum zwischen dem Beginn des jeweiligen Bewilligungszeitraums der der Klägerin gewährten Leistungen und dem Eintritt der rechtlichen Verfügungsmöglichkeit der Klägerin über ihre Erbschaft sei jedenfalls unangemessen lang.

Im Ergebnis wurde der Bescheid der Behörde danach aufgehoben und die von der Betroffenen gemachte Erbschaft blieb unangetastet.

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