Nachlassgericht ist an den Erbscheinsantrag gebunden

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Schleswig-Holstein – Beschluss vom 15.05.2017 – 3 Wx 45/16

  • Erblasserin verfasst zwei Testamente
  • Erbin beantragt Erbschein auf Grundlage von Testament A
  • Nachlassgericht erteilt den Erbschein aber auf Grundlage von Testament B

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hatte in einer Erbscheinsangelegenheit darüber zu befinden, wie eng die Bindung des Nachlassgerichts an den vom Antragsteller gestellten Erbscheinsantrag ist.

In der Angelegenheit war die Erblasserin am 17.05.2015 verstorben. Die Erblasserin hinterließ vier Kinder.

Vor ihrem Ableben hatte die Erblasserin zwei Testamente errichtet.

Das erste Testament war ein handschriftliches Testament vom 08.06.2012. In diesem Testament bestimmte die Erblasserin zwei ihrer Töchter als alleinige Erbinnen. Weitere erbrechtliche Anordnungen enthielt dieses Testament nicht.

Erblasserin errichtet zweites Testament

Am 03.02.2014 suchte die Erblasserin einen Notar auf und errichtete ein zweites und wesentlich ausführlicheres notarielles Testament. Auch in diesem Testament setzte die Erblasserin ihre beiden Töchter als Erben ein. Weiter enthielt dieses Testament noch Anordnungen zu Vermächtnissen und Auflagen für die Erben.

Nach dem Eintritt des Erbfalls beantragte eine der beiden als Erbe eingesetzten Töchter der Erblasserin beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins. Die Erbin bezog sich in diesem Erbscheinsantrag ausdrücklich auf das handschriftliche Testament vom 08.06.2012. Die Antragstellerin ging nämlich, auch dies stellte sie in ihrem Erbscheinsantrag klar, davon aus, dass das zeitlich spätere notarielle Testament unwirksam war, da die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt testierunfähig gewesen sei.

Über die Frage der Testierfähigkeit wurde dann im Verfahren vor dem Nachlassgericht offenbar ausgiebig diskutiert. Das Nachlassgericht kam zu dem Schluss, dass eine Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments gegeben gewesen sei.

Nachlassgericht gibt dem Antrag auf Erteilung des Erbscheins statt

Dem Erbscheinsantrag gab das Nachlassgericht dann auch ausdrücklich auf Grundlage des notariellen Testaments vom 03.02.2014 statt. Nachdem das Gericht von der Testierfähigkeit der Erblasserin zum Februar 2014 überzeugt war, komme es, so das Nachlassgericht, auf das zeitlich frühere handschriftliche Testament aus dem Jahr 2012 gar nicht mehr an.

Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin selber Beschwerde zum Oberlandesgericht ein. Obwohl der Inhalt des Erbscheins die Antragstellerin – wie beantragt – als hälftige Miterbin ausweisen sollte, war die Antragstellerin mit der Entscheidung des Nachlassgerichts nicht einverstanden.

Die Beschwerdeführerin monierte, dass das Nachlassgericht seine Entscheidung auf das notarielle Testament aus dem Jahr 2014 und nicht auf das private Testament aus dem Jahr 2012 gestützt habe.

Das Oberlandesgericht gab der Beschwerde statt.

In der Begründung seiner Entscheidung wies das OLG darauf hin, dass das Nachlassgericht – unabhängig von der Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin – seine Entscheidung nicht auf das notarielle Testament aus dem Jahr 2014 hätte stützen dürfen.

Nachlassgericht ist an den Erbscheinsantrag gebunden

Das Nachlassgericht sei vielmehr streng an den gestellten Antrag gebunden gewesen. Nachdem die Antragstellerin aber unmissverständlich zu verstehen gegeben habe, dass sie einen Erbschein auf Grundlage des Testaments aus dem Jahr 2012 wünschte, hätte das Nachlassgericht auch zwingend über diesen Antrag entscheiden müssen.

Es sei, so das OLG, auch vollkommen unklar, ob die Antragstellerin das Erbe auf Grundlage des notariellen Testaments aus dem Jahr 2014 überhaupt annehmen wolle.

Nachdem über den tatsächlich gestellten Erbscheinsantrag bisher vom Nachlassgericht noch nicht entschieden wurde, verwies das OLG die Angelegenheit zum Ausgangsgericht zurück.

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