Die Erbschaft wird aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen – Verliert der ausschlagende Erbe seinen Pflichtteil?

Von: Dr. Georg Weißenfels

OLG Schleswig – Urteil vom 02.09.2014 – 3 U 3/14

  • Sohn des Erblassers schlägt die Erbschaft aus, um den Pflichtteil einfordern zu können
  • Die Alleinerbin bestreitet das Pflichtteilsrecht
  • OLG: Ausschlagung lässt das Pflichtteilsrecht nicht untergehen

Das Oberlandesgericht Schleswig hatte in einem Berufungsverfahren über die Reichweite einer Erbausschlagung zu befinden, die von einem Erben „aus allen Berufungsgründen“ erklärt wurde.

In der Angelegenheit hatte ein Ehepaar im August 2008 ein gemeinsames Testament errichtet. Die Eheleute setzten sich in dem Testament zunächst wechselseitig als alleinige Erben ein. Ihre beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, sollten nach dem Tod des zuletzt versterbenden Ehepartners zu gleichen Teilen Schlusserben werden.

Gleichzeitig sah das Testament der Eheleute mehrere Vermächtnisse vor, mit denen die Schlusserben belastet wurden. Ein Vermächtnis sah zugunsten der Tochter vor, dass diese ein bestimmtes Hausgrundstück, das den Eheleuten gehörte, zu Alleineigentum fordern konnte. Ein weiteres Vermächtnis begünstigte beide Kinder und sah vor, dass diese eine weitere Immobilie je zu ½ erhalten sollen.

Die Ehefrau verstarb im November 2009. Der Ehemann verstarb im Alter von 83 Jahren im Oktober 2012.

Sohn schlägt die Erbschaft aus allen Berufungsgründen aus

Nach dem Tod des Vaters erklärte der Sohn frist und formgerecht im November 2012 die Ausschlagung der Erbschaft. Dabei erklärte der Sohn ausdrücklich, die Erbschaft „aus allen Berufungsgründen“ ausschlagen zu wollen.

Nachdem der als Erbe vorgesehene Sohn seine Erbschaft ausgeschlagen hatte, machte er gegenüber seiner Schwester, die die Erbschaft angenommen hatte, nach § 2306 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) Pflichtteilsansprüche geltend. Der Sohn machte geltend, dass seine Erbschaft von seinen Eltern mit Beschränkungen in Form von Vermächtnissen versehen gewesen sei. Dies würde, so der Vortrag des Sohnes, ihm die Möglichkeit eröffnen, seine Erbschaft auszuschlagen und seinen – unbelasteten – Pflichtteil zu verlangen.

Nachdem eine außergerichtliche Einigung zwischen den Geschwistern nicht zustande kam, erhob der Sohn des Erblassers gegen seine Schwester Klage und machte mit dieser Klage zunächst Auskunftsansprüche geltend. Die Schwester sollte ihm als Erbin Auskunft über den Bestand des Nachlasses geben und ihn auch über eventuelle Schenkungen der Eltern informieren, die für die Höhe seines Pflichtteilanspruchs relevant sein könnten.

Die Schwester beantragte vor dem Landgericht in erster Instanz die vollständige Abweisung der Klage. Sie machte geltend, dass ihr Bruder die Erbschaft schließlich „aus allen Berufungsgründen“ ausgeschlagen habe. Damit habe ihr Bruder aber nicht nur sein Erbe ausgeschlagen, sondern gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass er auch auf seinen Pflichtteil verzichte.

Die Schwester argumentierte, dass derjenige, der aus allen Berufungsgründen seine Erbschaft ausschlage, auch seinen Pflichtteilsanspruch verliere, da sich dieser nach dem gesetzlichen Erbteil berechne, auf den der Ausschlagende aber verzichtet habe.

Landgericht verurteilt die Schwester als Erbin

Das Landgericht wollte dieser Argumentation nicht folgen und verurteilte die Schwester in erster Instanz zu der von ihrem Bruder begehrte Auskunft.

Gegen dieses Urteil legte die Schwester Berufung zum Oberlandesgericht ein.

Das OLG sah die Sache aber genauso wie das Ausgangsgericht und wies die Berufung als im Wesentlichen unbegründet zurück.

In der Begründung seiner Entscheidung setzte sich das OLG intensiv mit der Argumentation der beklagten Schwester auseinander, wonach ihr Bruder durch die Formulierung in seiner Ausschlagungserklärung nicht nur die Erbschaft, sondern auch sein Pflichtteilsrecht verloren hätte.

OLG bestätigt das Urteil der ersten Instanz

Das OLG stellte dabei ausdrücklich fest, dass der Kläger sein Pflichtteilsrecht nicht deswegen verloren habe, weil er die Erbschaft „aus allen Berufungsgründen“ ausgeschlagen habe.

Aus einer solchen Formulierung lasse sich insbesondere kein (konkludent erklärter) Verzicht auf den Pflichtteil herleiten. Der unter Beschränkungen eingesetzte Erbe mache mit seiner Ausschlagung lediglich von seinem in § 2306 BGB vorgesehenen Recht Gebrauch, anstatt der belasteten Erbschaft den unbelasteten Pflichtteil zu fordern. Ein automatischer Verlust des Pflichtteilrechtes sei mit einer Ausschlagung nach § 2306 BGB in der Regel nicht verbunden.

Nachdem der Kläger durch die in dem Testament angeordneten Vermächtnisse auch in seiner Erbschaft im Sinne von § 2306 BGB beschwert war, stehe ihm, so das OLG, das Recht auf den Pflichtteil und in diesem Zusammenhang auch das eingeklagte Auskunftsrecht zu.

Das OLG korrigierte das Urteil des Landgerichts lediglich im Hinblick auf die zeitliche Reichweite des geltend gemachten Auskunftsanspruchs. Nachdem das Landgericht die Schwester zeitlich unbeschränkt zur Auskunft über eventuelle Schenkungen der Eltern verurteilt hatte, beschränkte das OLG diesen Anspruch auf den nach § 2325 BGB relevanten Zeitraum von zehn Jahren vor dem Erbfall.

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