Der vorläufige Erbe verfügt über den Nachlass – Nimmt er damit immer die Erbschaft an?

Von: Dr. Georg Weißenfels
  • Man kann eine Erbschaft entweder ausdrücklich, durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist oder durch schlüssiges Verhalten annehmen
  • Mit der Veräußerung von Nachlassgegenständen nimmt man das Erbe regelmäßig an
  • Ausnahmsweise ist mit der Veräußerung von Nachlassgegenständen keine Annahme der Erbschaft verbunden

Ist man als Erbe in einem Testament vorgesehen oder kommt man im Wege der gesetzlichen Erbfolge zur Erbenstellung, dann geht es im Erbfall von Gesetzes wegen schnell.

Ohne dass der Erbe auch nur ein Wort sagen oder auch nur eine Erklärung abgeben muss, erlangt er die Stellung als Erbe und Rechtsnachfolger des Erblassers. Für diese zuweilen überraschende Rechtsfolge sorgt die gesetzliche Vorschrift in § 1922 Abs.1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch):

Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.

 Der Erbe wird demnach nicht gefragt, ob er überhaupt gewillt ist, die Position des Erben zu übernehmen. Der Erbe wird gleichsam zwangsbeglückt. Die Vermögensnachfolge geschieht automatisch.

Der Erbe kann die Erbschaft ausschlagen

Nachdem auf den Erben im Erbfall aber nicht nur das positive Vermögen des Erblassers übergeht, sondern auch sämtliche Schulden der verstorbenen Person, sieht das Gesetz als Korrektiv für diesen automatischen Erbanfall das Recht des Erben vor, die Erbschaft mit Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht auszuschlagen.

Gemäß § 1942 BGB kann der Erbe die Erbschaft binnen einer Frist von sechs Wochen ausschlagen. Wird die Ausschlagung form- und fristgerecht erklärt, hat der Erbe mit der Erbschaft … und mit den Schulden des Erblassers nichts mehr zu tun. Er scheidet in diesem Fall rückwirkend aus seiner Erbenstellung aus.

Neben der sehr kurzen Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB von nur sechs Wochen lauert auf den Erben auf seinem Weg zur Ausschlagung aber noch ein weiterer Stolperstein. Die Erbschaft kann nämlich dann nicht mehr ausgeschlagen werden, wenn der Erbe sie bereits angenommen hat, § 1943 BGB.

Die Annahme der Erbschaft durch schlüssiges Verhalten

Diese Annahme der Erbschaft muss dabei vom Erben keineswegs ausdrücklich oder offiziell erklärt werden. Wesentlich häufiger sind die Fälle, in denen eine Erbschaft „konkludent“, d.h. durch schlüssiges Handeln, angenommen wird.

Wenn sich der Erbe für einen Dritten erkennbar so verhält, dass er die Erbschaft annehmen will, dann gilt die Erbschaft als angenommen und eine Ausschlagung ist nicht mehr möglich.

Wann eine Erbschaft in diesem Sinn durch schlüssiges Verhalten als angenommen gilt, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden. Die Beantragung eines Erbscheins wird beispielsweise in aller Regel als konkludente Annahme der Erbschaft zu werten sein. Und auch die Veräußerung einzelner Nachlassgegenstände führt in aller Regel dazu, dass der Erbe damit die Erbschaft annimmt.

Wann ist eine Verfügung über Nachlassgegenstände erlaubt

Eine Verfügung über einzelne Nachlassgegenstände kann aber im Ausnahmefall zulässig sein, ohne dass damit die Erbschaft als angenommen gilt.

Dies folgt unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung in § 1959 Abs. 2 BGB, wonach dem vorläufigen Erben ein Recht zur so genannten Nachlassfürsorge zusteht. Immer dann, wenn „die Verfügung (des vorläufigen Erben) nicht ohne Nachteil für den Nachlass verschoben werden konnte“, kann der vorläufige Erbe auch nach Vornahme der Verfügung weiter sein Recht zur Ausschlagung der Erbschaft wahrnehmen.

Die Frage, wann es sich um eine im Sinne von § 1959 Abs. 2 BGB unaufschiebbare Verfügung handelt, muss im Einzelfall anhand objektiver und wirtschaftlicher Kriterien geklärt werden.

So kann beispielsweise die Abhebung von Geldern von einem zum Nachlass gehörenden Konto dann unaufschiebbar sein, wenn damit Kosten für die Bestattung des Erblassers gedeckt werden sollen.

Weiter kann ein vorläufiger Erbe zum Beispiel zum Nachlass gehörende verderbliche Waren nach § 1959 Abs. 2 BGB wirksam veräußern, ohne mit einer solchen Aktion die Erbschaft konkludent angenommen zu haben.

Und sogar die Veräußerung von Wertpapieren, die sich im Nachlass befinden, kann nach § 1959 Abs. 2 BGB zulässig sein, wenn anderenfalls ein massiver Wertverlust der Papiere droht.

Im Fokus der Handlungen nach § 1959 Abs. 2 BGB muss aber immer die Sorge des vorläufigen Erben um den Bestand und die Werthaltigkeit des Nachlasses stehen. Werden hingegen vom vorläufigen Erben Verfügungen über einzelne Nachlassgegenstände aus eigennützigen Interessen vorgenommen, dann wird er damit auch regelmäßig eine konkludente Annahme der Erbschaft erklären und sein Ausschlagungsrecht verlieren.

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